Jedes Jahr feiern die Landesmusikräte der Bundesländer ein Instrument des Jahres, in diesem Jahr die Stimme. Sie gilt als das älteste Musikinstrument der Menschheit, es ist bis heute das ausdrucksstärkste Mittel, mit Musik die Herzen zu bewegen. Dabei berühren die einfachsten und natürlichsten Stimmen oft am stärksten, natürlich auch die verlebten und die eigentümlichsten.
In der Kunstmusik haben die Tenöre einst die Kastraten entmachtet, um mit Höhenflügen im natürlichen männlichen Stimmumfang das Musiktheater zu beherrschen: Die drei Tenöre haben es verstanden, ihre Stimmgewalten zu popularisieren und damit weitere mögliche Publikumsschichten für klassische Klänge zu erwärmen. Einer von ihnen, Plácido Domingo, verabschiedet sich in diesem Jahr mit einigen Operngalas auch in Deutschland. Mit 84 Jahren und rund 150 Opernrollen hat er sich in die Musikgeschichte eingeschrieben. Sein baritonal ausgerichteter Tenor erhält prompt einen Nachfolger: Der als im Veranstaltungsnamen als „Tenore assoluto!“ (übers.: absoluter Tenor) angekündigte Amerikaner Michael Spyres bezeichnet sich selbst mit einem Kofferwort aus „Bariton“ und „Tenor“ als „Baritenor“ – ein Mann für alle Fälle.
Im letzten Sommer adelten ihn die Bayreuther Festspiele mit der Besetzung als Siegmund in Richard Wagners „Walküre“. Damit betrat Spyres sängerisch schweres Gelände, bisher hatte er sich im Belcanto sehr wohl gefühlt. Dabei passte die recht tief liegende Heldenpartie wohl ausgezeichnet, er ist für dieses Jahr bereits wieder in Bayreuth angefragt.
Doch zunächst erscheint der Tenor in einem Arienabend in der Essener Philharmonie mit Repertoire aus alter Zeit. Nach flammenden Heldentönen auf dem grünen Hügel nimmt er sich ein barockes Programm vor, passend zur Reihe Alte Musik bei Kerzenschein. Dazu assistiert das Originalklang-Ensemble Il Pomo d‘Oro, um den Sänger mit einem Stimmumfang von drei Oktaven durch die virtuosen Partien der Opern von Rameau, Händel oder Hasse zu begleiten. Das Orchester kommentiert das Programm mit Concerti von Vivaldi oder Sammartini.
Wer den lyrischen Amerikaner im italienischen Repertoire noch einmal genießen will, der sollte die Gelegenheit nutzen. Ein Wechsel vom lyrischen zum Wagner-Fach lässt manchmal keine Rückkehr zu – auch eine einzigartige Eigenart des Instruments des Jahres 2025.
Michael Spyres / Il Pomo d'Oro: Tenore assoluto! | Do 27.2. | Philharmonie Essen | 0201 812 22 00
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