Da stand er, mit einem Lächeln fragend, ob niemand gesehen hat, dass es ihm von der Decke auf den Kopf geregnet hat, denn draußen goss es in Strömen und das an einem Juliabend. „Es wäre nicht Wuppertal, wenn es nicht bis auf die Bühne durchregnen würde“, sagt einer neben mir. So so. Der Fragende auf der Bühne ist Ravi Coltrane, eines von drei Kindern aus der wohl musikalisch einflussreichsten Jazz-Ehe des 20. Jahrhunderts. Sein Vater John prägte entscheidend die Free Jazz-Bewegung und seine Mutter Alice war eine der innovativsten Jazz-Pianistinnen und Komponistinnen. Fast 44 Jahre nach dem Todestag seines Vaters, bewies Ravi Coltrane mit seinem Quartett, dass vererbtes Talent eine Sache sein mag, der eigene Stil und dessen Ausdrucksform sind aber etwas anderes. Wetterfestigkeit inbegriffen. Aber das kurze Regenproblem wurde vom Team des Sommerloch-Festivals, in dessen Rahmen das Konzert stattfand, bravourös gemeistert. Sechs Erste-Hilfe-Frotteehandtücher und paar Plastikauffangschälchen vermieden erste Pfützenbildungen im High-Volt-Bereich der Instrumente und Verstärker.
Dies war an diesem Abend aber nicht das erste improvisatorische Glanzstück. Zuvor hatte das Quartett mit dem energischen „Prelude“ den Abend eröffnet. Unter Freunden der Betäubungsmittelszene würde man dies einen „Upper“ nennen. Mehrere intensive Saxophon-Phasen Coltranes mit aneinander gereihten Stakkato-Sätzen prägen ein erstes Power Play, gefolgt von Solis von Luis Perdomo am Piano und Drew Gress am Bass.
Nach dem mit Rhythm‚n’Blues versetzten „Nothing like you“ und dem eher gemächlicheren „Between lines“ steigert sich das letzte Stück vor der Pause zu einem offenen Schlagabtausch an Solo-Performances. Dabei spielt der Drummer E.J. Strickland ein Solo von gefühlten fünf Minuten, das zweite Power Play am Abend. In die sich mehrenden Begeisterungsschreie des Publikums steigt Coltrane wieder ein. Strickland öffnet die Augen und merkt, dass seine fünf Minuten Ruhm jetzt um sind. Es wird nicht das letzte Mal an diesem Abend sein, dass der Bandleader seinen losgelösten Drummer wieder einfangen muss. Aber so ist das, wenn Bandleader auf Bandleader trifft, immerhin hat E.J. Strickland ein Quintett mit seinem Zwillingsbruder Markus.
Nach der Pause wird Ahnenkult betrieben, familiär und musikalisch sowieso. Keith Jarretts „Prison“ ist in der Setlist des Quartetts der „Downer“. Melancholische Tiefe, ein schleppender Rhythmus, lyrische Passagen für Piano und Saxophon, ein stilles Highlight. Bemerkenswert heraus sticht noch die frei interpretierte Version von Alice Coltranes „Jagadishwar“. Eigentlich ein vom Hinduismus inspiriertes, meditatives Stück, das bei Ravi Coltrane aber mit einer langen, atonalen Saxophon-Passage endet und eher durch technische Finesse, denn spirituelle Tiefe überzeugt.
Wenngleich die Zugabe mit „Satellite“ das Vater-Denkmal noch mal pflegt, steht an diesem Konzertabend aber weniger der Sohn zweier berühmter Musiker im Vordergrund, sondern ein durchweg stark besetztes Jazz-Quartett, dessen Zusammenspiel nicht reibungslos, dafür aber umso intensiver und reich an Überraschungen ist. In der voll gefüllten Elba-Halle wirkt es zeitweilig wie ein experimenteller Jazz-Abend in der Location einer Rave-Party. Schließlich wurde nur die selbst gebastelte Lounging-Ecke im Vorhof klitschnass. Sei’s drum.
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