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Foto: Gregor Kieseritzky

Risse in der Lüneburger Heide

30. September 2024

„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24

Jannes, 19 Jahre alt und Schäfer, arbeitet von Kindesbeinen an auf dem Hof der Familie mit und übernimmt zunehmend führende Aufgaben. Das naturverbundene Leben zieht im Buch wie in der Realität Tourismus und Medien an, trotzdem geht es hier um weit mehr als Lokalkolorit: Dieser Anti-Heimatroman spielt in den 2010er Jahren in der vermeintlich beschaulichen Lüneburger Heide. Heimatdichter hat sie inspiriert, Hermann Löns wird trotz dessen nationalistischer Einstellung von manchen Figuren noch immer als solcher verklärt. Thielemanns erste Sätze gleichen der Beschreibung eines Gemäldes wie auf dem Buchcover, sein Stil zeichnet die Lüneburger Heide als malerischen und zugleich düsteren Ort. Eine Karte der Umgebung auf der Umschlagsinnenseite zeigt, wie nah das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen, ein Truppenübungsplatz und der Naturpark Südheide beieinanderliegen. Seit Kurzem gibt es wieder Wölfe in der Region und mit ihnen die ersten Risse unter den Schafen. Die unterschiedlichen Reaktionen darauf bringen politische Fragen mit sich – Risse entstehen auch in der Dorfgemeinschaft und in Jannes‘ verklärtem Bild seiner Heimat.

Das neue Unbehagen, wenn Jannes die Schafe auf die Heide treibt, ist beim Lesen spürbar und macht den Roman zu einer fesselnden Lektüre. Ein Schatten am Waldrand, ein dunkler Fleck unter Bäumen – überall könnte der Wolf lauern. Die ständige Angst vor der nahenden Katastrophe gleicht dem titelgebenden heranrollenden Donner. Beklemmend sind zudem die Visionen, die Jannes heimsuchen: Er hat Angst um die Gesundheit seines Vaters und ahnt, dass es in der Vergangenheit seiner Familie etwas gibt, über das nicht gesprochen wird. Ohne aktiv danach zu suchen, ergründet er auch in Träumen die Vergangenheit. Der Roman spielt mit Horror-Elementen und verknüpft mit diesen politische Fragen der Gegenwart angesichts einer erstarkenden völkischen Bewegung. „Von Norden rollt ein Donner und verhallt. Blitzlos. Keines der Tiere zuckt, auch der Hirte nicht“, heißt es gleich auf der ersten Seite. Wer am Ende noch einmal dorthin zurückblättert, mag darin eine neue Bedeutung erkennen.

Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner | C.H. Beck | 287 S. | 23 Euro

Melanie Schippling

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