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Seit 10 Jahren in der Kinofestleitung: Michael Wiedemann
Foto und Interview-Video: Alina Seiche

„Die Vielfalt findet auf Festivals statt“

23. Oktober 2014

Interview mit dem Kinofestleiter Mike Wiedemann - Festival 11/14

choices: Herr Wiedemann, seit 10 Jahren sind Sie Festivalleiter des Kinofests Lünen. Was war rückblickend das Highlight für Sie?
Mike Wiedemann:
Da gab es einfach so viele Highlights, dass es schwierig ist, eine ganz große Geschichte zu nennen. Es sind einfach bewegende Momente, wenn die Lüner Menschen nach einem Film, der sie berührt hat, mit den Regisseuren und Schauspielern ins tiefe Gespräch kommen. Dieser enge Kontakt zwischen Zuschauern und Filmschaffenden ist an sich ein Highlight und auch das Besondere bei uns.

Bei vielen Festivals wird ein Publikumspreis vergeben. Bei Ihnen entscheidet das Publikum sogar über den Hauptpreis.
Das liegt daran, dass wir ein klassisches Publikumsfestival sind und die Menschen aus der Umgebung ins Kino ziehen möchten. Da bietet sich ein Hauptpreis per Abstimmung an. Das passt auch in das Konzept, das Publikum mit dem Film und den Filmleuten aus der Branche zusammenzubringen, die das Lüner Festival als Ort der Begegnung sehr schätzen.

2011 wurde Axel Ranischs Debütfilm „Dicke Mädchen“ frenetisch in Lünen gefeiert. Unterstützung hatte er bis dahin von keiner Filmstiftung erhalten. Zeigen Sie bewusst Filme, die durchs Raster gefallen sind?
Nein, das würde ein ganz falsches Bild vermitteln. Sehr viele Filme sind mit den Geldern der Filmstiftung finanziert worden. Allein in diesem Jahr zeigen wir acht Filme der Filmstiftung NRW. Wir gehen nicht nach Filmen, die durchgefallen sind, sondern entscheiden uns im Vorfeld des Festivals für die, die uns besonders gefallen und bewegt haben. Aber klar, es freut uns natürlich immer, wenn ein Film dabei ist, der ohne die großen Budgets aus heiterem Himmel kommt.

Haben Sie auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass das Publikum in Lünen anders auf einen Film reagiert als vorher erwartet?
Gibt es. Allerdings sind die Lüner sehr höflich. Wenn sie einen Film kritisieren wollen, sagen sie, dass es ein schwerer Film sei. Aber an sich ist das eher selten. Wir haben unterschiedliche Filme und es kommen unterschiedliche Menschen und die einen entscheiden sich für das, die anderen für jenes. Es kommt eher vor, dass Filme, die uns gefallen und wir aussuchen, im Kino total gefloppt sind, was wir sehr schade finden. Zum Beispiel war im letzten Jahr „Im weißen Rössl“ ein großer Erfolg hier, in die Kinos kamen dagegen kaum Leute. In Lünen finden solche Filme dann ein ganz aufmerksames Publikum. Auch die Filmemacher sind begeistert, dass es ja dann doch funktioniert. Festivals wie das unsrige übernehmen die Funktion, Filme auch außerhalb des Kinos zu betreuen.

Sie waren vor dem Kinofest Lünen bei der Filmstiftung NRW tätig. Jetzt fördern Sei Filme auf andere Weise. Gibt es Vorteile, Besonderheiten dabei?
Ja, so schließt sich der Kreis. Beim Festival ist es sicher einfacher, da wir hier einen fertigen Film haben. Das ist ein riesiger Unterschied, da man nur mit einem Drehbuch in der Hand erst einmal darauf hoffen muss, dass daraus etwas wird. Aber da das Kino mittlerweile so verstopft ist mit vielen Filmen, macht es auch Freude als Festival eine weitere Plattform zu geben. Und natürlich sieht man direkt die Publikumsreaktion.

Sie waren als Produzent an den Ruhrgebietsklassikern „Die Heartbreakers“ und „Theo gegen den Rest der Welt“ beteiligt. Gibt es Ihrer Meinung nach den Ruhrgebietsfilm?
Der Großteil der Filmleute in NRW sitzt natürlich in Köln, wo die Filmindustrie und die großen Fernsehsender sind. Aber es gibt auch Filmemacher, die von Köln ins Ruhrgebiet ziehen, wie Ulrike Franke und Michael Loeken. Von denen haben wir „Losers und Winners“ über den Abbau und Verkauf einer Dortmunder Kokerei gezeigt, in diesem Jahr kommt „Göttliche Lage“, der schon sehr erfolgreich gelaufen ist. Dann gibt es noch Horst Herz und Adolf Winkelmann, die aktiv sind. Es halten noch ein paar die Fahne hoch hier im Ruhrgebiet, aber bei den doch wenigen Filmen, ist es schwierig von dem Ruhrgebietsfilm zu sprechen. Köln ist einfach der Sog.

In zahlreichen Diskussion im weltweiten Netz liest man immer wieder, dass deutsche Filme nur Hollywoodabklatsch oder bessere Fernsehfilme seien. Was würden Sie dem entgegnen?
Das ist ja viel zu pauschal. Die Leute sollen mal hierher fahren. Hier sieht man eine Bandbreite, die nicht nur Tragödie und Komödie beinhaltet. Wir zeigen „Das finstere Tal“, das ist ein richtiger Western. Die Vielfalt findet allerdings größtenteils auf Festivals st0att. In den Kinos ist es schwierig, sich in Konkurrenz zu den ganzen amerikanischen Filmen, ja zum gesamten Weltkino durchzusetzen.

Bringen Sie in Lünen Menschen zu Kino und Film? Und zum deutschen Film im Besonderen?
Das glaube ich schon. Man merkt einigen Leuten hier an, dass sie nicht so oft ins Kino gehen und sie dann ein Film aus dem Programm thematisch einfach interessiert. Viele unserer treuen Besucher, haben hier Interesse an Kino und Film gewonnen. Auch am deutschen Film. Selbst im Programmkino bekommt man ja nicht diese geballte Ladung. Dort laufen auch viele französische, italienische und japanische Produktionen.

Im Zusammenhang mit der Filmförderabgabe sagten einige großen Kinos, dass sie keine deutschen Filme zeigen würden.
Ach, die spielen die auch und leben davon. Til Schweiger und Matthias Schweighöfer machen Filme, die richtig viel Geld bringen. Das ist auch genauso okay. Wir müssen die Filme vom Til und Matthias nicht zeigen, weil die ohnehin in den Multiplexkinos laufen und präsent sind. Wir zeigen, was man sonst nicht so einfach im Kino sieht.

Man hat den Eindruck, dass es heute an jungen großen Köpfen mangelt, wenn man den den Neuen Deutschen Film mit Herzog und Fassbinder daneben betrachtet. Woran liegt das?
In den letzten 40 Jahren seit dem Einsetzen des Neuen Deutschen Films hat sich vieles geändert. Früher gab es Filmhochschulen in Berlin und München, wo ich studiert habe, und in der DDR noch Potsdam. Mittlerweile gibt es zehn oder zwölf Hochschulen. Damals kamen jährlich 20 Regisseure von einer Filmausbildung, heute 100 oder 150. Das Geld verteilt sich heute anders als damals auf viele. Sich durchzusetzen und ganz groß rauszukommen, ist dann nicht einfach. Aber es gibt ja trotzdem junge Filmemacher, die sich langsam ihren Namen gemacht haben.

Ist es in Deutschland schwierig, neue Filmideen durchzusetzen?
Nein, es ist doch jetzt fast alles möglich. Ob mit Geld oder auch ohne. Die Zeiten waren früher anders. Da musste man zusehen, wie man sein Geld zusammenbekommt. Heute gibt es so viele Fördermittel und auch Möglichkeiten, da sich die Technik stark verändert hat. Zu meinen Studienzeiten in den 60ern kostete Filmmaterial für wenige Sekunden zwei Mark. Heute kann man sich sogar im Handel eine Kamera kaufen, drehen und es kostet praktisch eigentlich fast nichts.

Ist die Filmlandschaft bunter geworden?
Auf jeden Fall. Wir sehen viele Filme im Vorfeld und da ist auch vieles dabei. Schwieriger ist es dann natürlich, sich durch die Masse durchzusetzen. Läuft ein Film im Kino nicht gut an, kommt zack der Nächste.

Video: Kinofest Lünen

Haben Sie manchmal Schwierigkeiten einen Film für das Festival zu bekommen?
Eigentlich nicht. Wir zeigen ja auch hauptsächlich Filme, die bereits angelaufen sind oder gerade starten. Das kann sich natürlich Berlin nicht leisten, auch wegen der Berichterstattung in der überregionalen Presse. Wir haben nicht diesen Stress.

Warten Sie noch auf ein besonderes Festivalerlebnis in Lünen?
Im Moment sind wir rundum glücklich, wenn uns die Besucher weiterhin so treu bleiben, unser Programm akzeptieren und hier tolle Erfahrungen machen.

Sie würden daher auch niemals nach Dortmund oder Essen ziehen?
Das Festival ist verwurzelt in der Stadt. Nicht nur inhaltlich, dass die Leute begeistert sind, das Kinofest und ein tolles Programm zu haben, sondern auch finanziell mit den Sponsoren vor Ort. Der Rückhalt seitens der Firmen und der Lüner Bürger ist einmalig. In anderen Städten gibt es das so nicht.

INterview: Lisa Mertens

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