Hoi oder Hai rufen die anfeuernden Kollegen dem Obertrommler zu, der die Ehre hat, die 400 Kilo schwere Fasstrommel O-daiko mit mächtigen Knüppelschlägen zu bearbeiten. Sie sitzt auf einem festlichen Hänger, behängt mit traditionellen Lampions. Und der Schläger tritt krachend auf den Boden, den entblößten Rücken zum Publikum gewandt, damit jeder Muskel und jede Sehne studiert werden kann, die diese endlose Prügelimprovisation möglich machen. Die Paarung aus perfekt konditionierter Kraft und virtuoser Handhabung der groben Schlegel bilden nur eine Facette eines faszinierenden Abends, der für viele Freunde der Trommelkunst über die Jahre zur Kultveranstaltung der Hochkultur avanciert. Klassik muss nicht immer gegeigt werden, das konnten wir in den letzten Jahren vom Salzburger Trommlerwunder Martin Grubinger lernen. Die Japaner wissen dies schon bedeutend länger: Kodo, das originale Trommelensemble aus dem Fernen Osten, gastiert im Konzerthaus Dortmund.
Die Musiker, Tänzer und vornehmlich Perkussionisten haben in ihrer Wahlheimat, der Insel Sado, einen eigens organisierten Lebensraum entwickelt. Hier entstand Kodo-Village, wo diese Gemeinschaft sich dem naturnahen Leben und der Pflege traditioneller Formen japanischer Darstellender Kunst widmet. Vor knapp dreißig Jahren begann die Gruppe, weltweite Tourneen zu veranstalten und sich so ihre Lebensträume zu verwirklichen. Die „Kinder der Trommel“, so lautet eine Bedeutung des Wortes Kodo, folgen einem gemeinsamen „Herzschlag“ – auch das meint Kodo.
Lebenslust und Disziplin äußern sich in mühelos wirkenden aufwendigen Choreografien. Trommelrhythmen erzeugen wogende Wellen und Klangbewegungen im Saal, Töne kommen und gehen, das Bild pulsiert in einem scheinbaren Chaos der Spieler – aber wie bei Hochseilartisten ist alles genau synchronisiert und jede Nuance geplant. Das Dröhnen verstummt. Ein Bambusflöten-Spieler bläst einen zarten Gesang. Er trägt den Klang zwischen die Zuhörer, erklettert wenn möglich die Ränge und umrundet spielend das Publikum. Eine Tänzerin belebt das Bild, auf dem Haupte trägt sie eine leuchtende Laterne. Sie schreitet, schwingt den Fächer, ihr Tanz beschreibt Demut: Flöte und Tanz finden in der Bescheidenheit zur Harmonie. Dargestellt wird ein Reinigungsritual – die Programme von Kodo werden stets in der Zeit oder im Glauben verankert.
Spektakulärer wirken natürlich die Trommelattacken. Spieler klammern sich allein mit den Füßen unter ihre schräg liegenden Trommeln. Wie zu einer Konditionsübung ragen die durchtrainierten Oberkörper in die Luft. Die Arme schwingen über den Kopf, und sie trommeln, was das Fell hält und bis der Schweiß auf den Körpern glänzt. Sie schlagen einen festgeschriebenen, wahrscheinlich tradierten Rhythmus. Kodo begeistert, weil die Akteure nicht nur aus einer anderen Kultur, sondern auch aus einer anderen Zeit zu kommen scheinen. Und die wirkt fremd, aber sehr verlockend.
Kodo: One Earth Tour 2016 – Mystery | Di 8.3. | Konzerthaus Dortmund | www.konzerthaus-dortmund.de
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