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Leuchtzeichen, Beratungssituation
Foto: Reimund Braun

„Betroffenen einen Raum geben“

13. April 2022

Jeanette Berger über die Beratungsstelle Leuchtzeichen – Spezial 05/22

Wir sprachen mit der Sozialpädagogin und Leiterin der kürzlich eröffneten unabhängigen Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch im Zusammenhang mit der Kirche über die Hilfsangebote der Einrichtung und ihre eigenen Erfahrungen.

choices: Frau Berger, welche Signale soll Leuchtzeichen aussenden?

Jeanette Berger: Wir wollen Betroffenen einen Raum geben, um sie zu unterstützen. Nicht nur virtuell per Chat oder Telefon, sondern in Präsenz. „Leuchtzeichen“ ist ein realer Ort, an den sich Opfer sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext wenden können. Dabei sind auch Angehörige von Opfern willkommen. 

Die Anlaufstelle existiert erst seit einigen Wochen. Wie hoch ist die bisherige Frequenz?

Sehr hoch. Die Leute sind dankbar, dass es eine Stelle gibt, zu der sie hingehen können. Die Opfer fühlen sich im Stich gelassen und wollen verständlicherweise nicht mit Vertretern von der Kirche sprechen.

Von welcher Dunkelziffer gehen Sie in Bezug auf sexuelle Übergriffe innerhalb der Kirchen aus?

Oh, mein Gott! Ich glaube, die ist extrem hoch. Ich bin mir sicher, es gibt noch sehr viele, die sich nicht gemeldet haben und auch nicht melden werden. Ich komme aus einem kleinen, erzkatholischen Dorf am Niederrhein und wurde von einem Priester missbraucht. Sich da zu outen ist extrem schwierig. Da fielen auch Worte wie „Nestbeschmutzer“. Die Hürde ist sehr hoch.

„Betroffene können zu uns kommen, egal, ob sie etwas erzählen wollen oder nicht“

Wie können Sie den Betroffenen konkret helfen?

Zunächst einmal sind wir da. Betroffene können einfach zu uns kommen, egal, ob sie etwas über Geschehenes erzählen wollen oder nicht. Das ist erst mal unwichtig. Wir sind in einem geschützten Raum und hören zu. Nichts davon dringt nach außen. Wir können aus unserer Erfahrung Tipps geben. Konkret können wir bei den sogenannten „Anträgen zur Anerkennung des Leids“ helfen. Da wird von den Betroffenen viel erwartet. Die meisten empfinden allein das schon als äußerst schmerzhaft. Wir bieten zudem eine Kommunikation mit dem Bistum an. 

Arbeitet Ihre Einrichtung unabhängig?

Wir sind völlig unabhängig von der Kirche oder anderen Institutionen und finanzieren uns durch Spenden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Aufklärungsarbeit der Kirchen in Bezug auf sexuellen Missbrauch durch Mitarbeiter? Ist das Geleistete genug und transparent?

Nein. Es ist weder ausreichend noch transparent.

„Es reicht nicht aus, wenn das Kirchenrecht gekippt wird“

Was fordern Sie?

Ich fordere, dass jegliche Verdachtsmomente und Übergriffe aus der Kirche hinaus in staatliches Recht übergehen und dort verhandelt werden müssen. Ich habe jedoch das Gefühl, die Politik traut sich da nicht richtig ran. Grundsätzlich reicht es aber nicht aus, wenn das Kirchenrecht gekippt wird. Nach außen sieht es zwar so aus, als ob etwas getan wird, aber nach innen wird sich nicht viel ändern.

Was muss sich im Sinne einer verbesserten Prävention von Straftaten bewegen?

Ich sehe die Schwierigkeit im kirchlichen Bereich dahingehend, dass die dortigen Machtstrukturen und der geschützte Raum für Täter noch zu gegenwärtig sind. Man spielt mit der Spiritualität. Mir wurde damals gesagt, dass Gott das darf und wenn ich etwas erzähle, käme meine Familie in die Hölle. Es wird mit der höheren Macht gespielt. Solange die Strukturen so bleiben, wird es auch weiterhin Machtmissbrauch geben.

Woran fehlt es Leuchtzeichen zurzeit am meisten?

Wir möchten weitere Anlaufstellen ermöglichen. Soviel ich weiß, sind wir die derzeit einzige Präsenz-Einrichtung in Deutschland. Wir benötigen Spenden, um diese Arbeit weiterzuführen und auszubauen.

„Die Defizite sind in anderen Ländern sehr ähnlich“

Wie gehen andere Länder mit der Thematik um?

Grundsätzlich sind die Defizite sehr ähnlich. Ich kenne jetzt nicht so viele Einzelheiten aus anderen Ländern, aber die Anerkennungsleistungen in Deutschland sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Viele Leute können aufgrund des Erlebten ihren Job nicht mehr ausführen. Geldzahlungen können das Geschehene zwar nicht aufwiegen, aber zumindest sind andere Länder mit höheren Entschädigungen vorbildlicher, beispielsweise in Bezug auf die Behandlungskosten. Da liegen die USA weit vorne, während unser Staat sich auf den unteren Rängen bewegt.

Wie können sich Menschen abseits von Spenden für die Anlaufstelle betätigen?

Wer Interesse hat, kann sich direkt an uns wenden. Wir nehmen dann Kontakt auf und sprechen über die verschiedenen Bereiche, in denen eine Mitarbeit möglich ist. Wir sind für jede Hilfe dankbar!

Leuchtzeichen – Beratungsstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext | Markmannsgasse 7, 50667 Köln | www.leuchtzeichen-online.de

Interview: Thomas Dahl

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