Wenn die braunen Blätter über die Gehwege tanzen, kann der Musikliebhaber auch mal die Beine auf dem Sofa ausstrecken. Das muss er nicht, denn die Konzertprogramme der Konzerthäuser und Clubs quellen über vor qualitativ erstklassigen Angeboten – bei stetig sinkenden Besucherzahlen. Besonders den Abonnenten, den traditionellen Heilsbringer der Konzertveranstalter, den hält es nicht mehr im fest verankerten Mietsitz. Die Auswahl wird ja auch immer verführerischer, bunter, und die Welt rückt unaufhörlich weiter zusammen. Wer bei diesen Gedanken milchig graue Wolken aufziehen sieht und wem nun Gelüste nach einer meditativ intensiven Begegnung mit zarten Tönen eines Trios erwachen, von drei Musikern, die alles, aber niemals Party machen wollen, dem sei eine CD empfohlen, die durchaus originell klingt, ohne schrill oder unterhaltsam sein zu wollen. Man muss allerdings zuhören können, denn die drei erzählen nicht nur dem Endprodukthörer kleine Geschichten, sondern sie haben sie sich auch gegenseitig nur mitgeteilt – postalisch sozusagen. Und das begab sich so.
Um der Ein- bis Zweisamkeit des Hörers gerecht zu werden, haben sich die Sängerin Gabriele Hasler, der Pianist Dietmar Bonnen und Holzbläser Roger Hanschel gar nicht vor die eigene Haustür bewegt, sondern ihre Grundideen via Mail einfach vom Sofa abgeschickt. Den ausgeklügelten und reiflich überlegten Kommentar gab es dann retour, ein Abschlusstreffen zum Endmix, das war‘s – Improvisationen mit Reifegrad und Rückzugsrecht. Aber die musikalischen Anmerkungen, die passend zum Homestudio mit Eierharfe, einem Milchschäumer oder nur mit schwerem Atem ausgestoßen wurden, leben wie pulsierende Hörbilder, mit lyrischen Texten wie abstrakten Hörspielszenen, und die Musiker verleugnen ihr handwerkliches Können nie: Hanschels Saxton wärmt wie ein finnischer Holzofen. Wen es aber hinaustreibt – wahrscheinlich wird der Oktober ja so sonnig wie der August – der hat alle Möglichkeiten. Zum Herbst passt allemal der Bass. Ron Carter, der noch immer munter drehende rüstige Motor u.a. in der Miles Davis-Band, brummt eine Hommage an den berühmtesten Stopf- Trompeter im Kölner Alten Pfandhaus (7.10.). An John Coltrane richtet sich ein Projekt des Bassisten Jamaaladeen Tacuma, eine Generation jünger als Carter, dafür zwanzigmal so laut wie der Kontrabassist. Im Pfandhaus lässt er seinen E-Bass am 23.10. dröhnen, zwei Tage später im Dortmunder „Domicil“ (25.10.). Bach wirkt Wunder an trüben und an heiteren Tagen, besonders in einem schönen Konzertsaal wie in Essens Philharmonie (12.10.). Joachim Kühn improvisiert am Flügel über und zu Bachschen Originalen, die das Kettwiger Bach-Ensemble frisch auf intoniert. „Bach now“ schnurrt der Tastenlöwe des deutschen Jazz, sehr sensibel und gar nicht leise.
www.jazzhausmusik.de: Hasler, Bonnen, Hanschel;
„Styr“; Foolish Music 211008; erscheint 20.10.
www.altes-pfandhaus.de, www.domicil-dortmund.de
www.philharmonie-essen.de, www.konzerthaus-dortmund.de
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