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Das Rhein-Ruhr-Gebiet ist von etlichen Transit-Autobahnen für den Frachtverkehr durchzogen. Groß-Lkw über 20 Metern Länge müssen vorerst woanders fahren.
Foto: Tom Jost

„Giga-Liner“: In NRW nach wie vor unerwünscht

24. September 2015

Spediteure und Hersteller wollen Diesel und Personal durch längere Lkw-Züge sparen – Innovation 10/15

Auch wenn man „Tagesschau“ heißt, bewahrt es die Redaktion nicht davor, Blödsinn zu melden. „Riesen-Lkw dürfen auch auf dem kompletten Straßennetz in Nordrhein-Westfalen fahren“, postete das Nachrichten-Flaggschiff zum Thema „Giga-Liner“ Ende Juli – also noch mitten in den Ferien. Manch bravem Lenker eines Urlaubsmobils mag da gleich der kalte Schweiß auf die Stirn getreten sein. Allein: In diesem Bundesland wird man die übergroßen Lastzüge mit mehr als 25 Metern Länge vorerst nicht zu Gesicht bekommen. Aber langfristig muss man sich schon Gedanken machen.

Die Diskussion um überlange und überschwere Lastzüge flackert seit einigen Jahren immer wieder neu auf. Positiv befeuert im Sinne von innovativer Kapazitäts-Ausweitung wird sie vornehmlich von zwei Interessensgruppen: Lkw-Herstellern und Spediteuren. Zwei Fahrzeuge könnten künftig die Ladung von bisher dreien transportieren und dabei reichlich Diesel sparen, heißt es zur Unterstützung. Gegenwind kommt von besorgten Stadtplanern, Ingenieuren und auch dem ADAC. Kreisverkehre seien für solche „Monster-Trucks“ zu klein, Autobahnen und Brücken würden noch stärker belastet … und das Überholen dauere eine halbe Ewigkeit. Außerdem wandere damit noch mehr Fracht von der Schiene auf die Straße ab.


Mit dem VSL setzt sich Dr. Rüdiger Ostrowski für Giga-Liner auch in NRW ein, Foto: VSL

Was Fakt ist: NRW gehört nun auch offiziell zu den Teilnehmern am bundesweiten „Feldversuch Lang-Lkw“ – allerdings in abgespeckter Form. Der Landtag erlaubte lediglich die Straßennutzung verlängerter Sattelzüge, die aus Zugmaschine und Auflieger bestehen. Statt bislang 16,50 Meter sind seit dem Sommer 17,80 Meter genehmigt. Keine Rede von 25-Meter-Lindwürmern, keine Rede von 60 Tonnen Gewicht, denn die zulässige Gesamtlast bleibt bei 40 und 44 Tonnen. Die bisher überall problemlos einsetzbaren „Jumbo-Gliederzüge“ mit Motorwagen und Anhänger messen übrigens mit 18,75 Metern noch ein bisschen mehr. „Wir haben der Sattelzug-Verlängerung zugestimmt, damit wir die Riesen-Trucks draußenlassen konnten“, beschreibt Bernhard Meier vom NRW-Verkehrsministerium die politische Strategie. Getestet wird „Giga“ erst einmal in anderen Bundesländern, auf mehr als 10.000 freigegebenen Streckenkilometern.

Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist das dominierende „Sammelgut-System“ in der Frachtbeförderung. Vorwiegend nachts gehen die Güter zu bestimmten Umschlagepunkten auf die Reise. An diesen sogenannten „Hubs“ wird die Ladung neu verteilt und geht etwa von Kassel im Linienverkehr zu anderen Knoten nach Düsseldorf, Berlin, Spanien oder Tschechien – dito in Gegenrichtung. „Nur auf diesem Linienverkehr sollen die Lang-Lkw genehmigungspflichtig eingesetzt werden“, fordert etwa Rüdiger Ostrowski als Vorstand des Verbandes Spedition und Logistik NRW (VSL). Niemand wolle etwa die Giga-Liner durch die Städte schicken, heißt es in seinem Haus. Neben dem Sammelgut geht es auch um die Beförderung leichter Frachten wie Dämmstoffe oder Möbel. Dieser Transport sei auch bisher keine Domäne der Bahn, ergänzt Adalbert Wandt, seines Zeichens Präsident des Bundesverbandes Güterverkehr und Logistik.

Freilich würde eine Freigabe der Giga-Liner auch Verlierer produzieren. Wo drei Lastzüge durch zwei Groß-Lkw ersetzt werden, wird ein Drittel der eingesetzten Fahrer entbehrlich. Eigentlich kein Problem, glaubt man beim VSL, denn die Lkw-Lenker fehlten ohnehin an allen Ecken und Kanten. Dass ein Kölner Sattelzug von einem Portugiesen gesteuert werde, sei längst keine Seltenheit mehr. Im Gegensatz zu den Speditionen, die ja lediglich als Frachtmakler fungieren, hätte aber vor allem das Transportgewerbe zu leiden: Zwei Touren bringen halt weniger Umsatz als drei.

Interessant wird die ganze Entwicklung aber aus einem anderen Blickwinkel – wenn nämlich künftig (vielleicht) Dutzende von Lkw, die in gleicher Richtung unterwegs sind, technisch zu gesteuerten „Transportsystemen“ kombiniert würden. Der „zwingende Einsatz von Radarbremsen“, den Rüdiger Ostrowski in seiner Stellungnahme vorschlägt, bräuchte in Kombination mit automatisierten Spurhalte-Systemen den Lkw-Fahrer auf der Autobahn nur noch zum Einschalten des Tempomats. Dafür wäre dann die rechte Spur mit Giga-Liner-Kolonnen gefüllt. Welche Auswirkung das aufs Rhein-Ruhrgebiet mit seinen Autobahnen hätte, wo eine Ab-und Auffahrt in kurzer Distanz auf die nächste folgt? – Zumindest eine drastisch erhöhte Produktion von Angstschweiß bei den übrigen Verkehrsteilnehmer/innen.

Die Landesregierung hat noch in diesem Frühjahr bekräftigt, einen möglichst großen „Anteil der Verkehrsleistungen außerhalb der Straßen“ abwickeln zu wollen. Damit sollen im Fernverkehr Binnenschiffe und die Eisenbahn eine bessere Auslastung bekommen. Freilich räumt Minister Michael Groschek ein, dass dafür die Bahn-Netze noch reichlich ausgebaut gehören. Dazu zählt etwa der Anschluss von Duisburg und Oberhausen an die niederländische „Betuwe“-Frachtstrecke als Teil einer Schienenverbindung von Rotterdam bis Genua. Im November feiert der deutsch-holländische Kooperationsvertrag seinen zehnten Geburtstag, etwa zum gleichen Zeitpunkt sollte Baubeginn sein. „Realistisch scheint“, meinte die Rheinische Post, „dass es noch vier Jahre dauern kann.“

Tom Jost

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