Antonionis „Die rote Wüste“ (Il deserto rosso, 1963) müsse die Italiener ganz besonders beeindruckt haben, meint der Filmjournalist Daniel Kothenschulte, der am Donnerstag eine Ausstellungsführung übernahm. Der Film mit Monica Vitti zeige eine Frau und junge Mutter, Giuliana, außerhalb des in Italien besonders wichtigen Kontextes einer mehr oder weniger intakten Familie – eine schöne Frau zudem, die aber anders als in herkömmlichen italienischen und französischen Filmen der Zeit nicht nur eine optische Attraktion oder Handlungsträgerin gewesen sei, sondern für deren Psychologie und Identität Antonioni sich interessiert habe.
Während der Film in Deutschland nie ein großes Thema war, beeindruckt der erste Farbfilm des Meisters doch bis heute in seiner kompromisslosen Machart und Farbgestaltung nicht zuletzt Künstler und Fotografen. Kothenschulte, der kürzlich eine restaurierte Fassung in Venedig gesehen hat, erklärt: „Der Film ist farblich einzigartig in der Filmgeschichte, allein schon deshalb, weil man damals Farbe in Spielfilmen nur verwandt hatte, um einen eskapistischen, romantischen oder exotischen Schauwert einzuziehen.“ Hingegen bei Antonioni: Fabriken, kaputte Landschaften, Nebelschwaden. Der Film ist allerdings bekannt dafür, dass der Regisseur, der auch Aquarelle malte, sich mit der psychologischen Wirkung von Farben befasste und gegebenenfalls selbst Sand und Bäume anmalen ließ. „Er ging an die Landschaften wie ein Maler“, sagt Kothenschulte.
Das Team der Photographischen Sammlung am Mediapark hat über italienische Kontakte 2013 ein Gemeinschaftsprojekt zwischen einer Klasse der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit zwei italienischen Photographie-Initiativen in Ravenna – Drehort des Films – und Rubiera angeregt, denen die Förderung abhanden gekommen war. Das gemeinsame Antonioni-Thema sei dann vor allem von den Italienern ausgegangen, so Kuratorin Claudia Schubert.
Die Ausstellung „Il deserto rosso now – Fotografische Reaktionen auf Antonionis Filmklassiker“, eine Weiterentwicklung der Ausstellung in Italien, verdeutlich die Anregungskraft, die von einem vielschichtigen Film ausgehen kann, und wie unterschiedlich er auch im verwandten Medium der Fotografie aufgefasst und verarbeitet werden kann. Man bekommt auch einen Überblick über eine ganze Bandbreite von Stilen und Techniken bis hin zu multimedialen Installationen. Während die Leipziger Arbeiten ab 2013 in der Klasse von Professor Joachim Brohm und Anna Voswinckel entstanden, gab es in Italien Einreichungen freier Künstler, die im Schnitt deutlich älter und bekannter sind, technisch traditioneller arbeiten und teilweise schon passendes Material hatten oder in der Zeit zurückwanderten.
„Zu viel Sonne für Antonioni“ heißt eine Fotoserie von Alessandra Dragoni (*1963) direkt am Eingang, die mitunter den zeitlichen Abstand zum Italien Antonionis vor Augen führt, in dem analog fotografiert wurde und viele Arbeitsplätze in der Industrie entstanden. Sie vermittelt mit Bildern und abgelichteten Zeitungsartikeln aus Archiven etwas vom Ravenna zur Zeit des Drehs, wo das Wetter weniger nebelig war, als Antonioni es sich für seine Zwecke wünschte. Folglich musste gewartet werden, so wie Dragoni es als professionelle Fotografin auch kennt. William Guerreris (*1952) C-Print „Public spaces“ (1991-1993) zeigt menschenleere Warteräume und Flure in öffentlichen Gebäuden der Film-Region Emilia Romagna, die mit bewussten farblichen Entscheidungen und ihrer klar definierten Einrichtung fast wie drehfertige Antonioni-Kulissen wirken. Ähnlich entschied sich João Grama (*1975). Der aus Portugal stammende Leipziger Meisterschüler fotografierte die farbigen Wände von heute geschlossenen Nervenheilanstalten in der Region, um mit seiner Arbeit, in Anlehnung an Giulianas Anpassungsschwierigkeiten im Film, an diese Art des Einsperrens zu erinnern („We only painted one side of the Forest“, 2015).
Die Menschenleere zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, die im Großen und Ganzen aus dem Heute noch dasselbe faszinierend beklemmende Material zieht, auf das der Regisseur sich insbesondere seit „L’eclisse“ (1962) eingeschossen hatte. „Antonioni hat selbst gesagt, dass er das alles schön fand“, sagt Kothenschulte über die industriellen Motive, deren zerstörerische Wirkung der Film zwar deutlich, aber durchaus ohne das heutige Bewusstsein für Umweltverschmutzung zeige. Auch viele der Bildserien sind von einer Faszination mit Bauten, Farbwirkungen und unterworfener Natur geprägt. Ohne Menschen, die sonst den Blick des Betrachters auf sich ziehen, sind es wie in vielen Film-Einstellungen die Dinge, die zur Sprache kommen – ob bei einem Besuch des Drehorts („Ravenna revisited“, 2016, von Philipp Kurzhals), in suburbanen Landschaften („Die Wüste wächst“, 2016, Francesco Neri) oder in einem Vergnügungspark und einem zoologischen Park bei Ravenna („Life is somewhere else“, 2016), wo dem aus Leipzig angereisten Daniele Ansidei eine moderne fotografische Nachempfindung von Antonionis Leere gelingt. Was es mit der Leere auf sich hat, wird übrigens am 12.10. um 19 Uhr Gegenstand eines Vortrags sein.
Zu jedem Projekt gibt es schriftliche Erläuterungen, die aber noch Raum zur Interpretation lassen und auch von Kothenschulte manchmal etwas übergangen wurden. Eine Arbeit, die er besonders lobte, ist „Adaption / Disorder“ (2016) von Christoph Brückner (*1984). Die Sätze, die hier an die Wand projiziert werden, erweisen sich als Dialoge Giulianas in dem eher wortkargen Film. Kothenschulte sah hier auch eine „Bloßstellung der Dialoge“ in ihrer Beiläufigkeit, „wo etwas Inneres nach außen dringt“. Das dazugehörige Video auf einer Art Überwachungsmonitor (Schwarzweiß) zeigt eine unruhige Schnittfolge von Aufnahmen aus dem Film, in denen keine Menschen zu sehen sind. Im Grunde ist der Film hier in seiner Essenz zu erleben. „Er nimmt Bilder, die sowieso schon abstrahiert sind“, sagt Kothenschulte, „und montiert sie auf eine Weise, die nochmal diese Stilisiertheit ausstrahlen.“ Auch weitere audiovisuelle Arbeiten sind zu sehen, von denen der Filmkenner allerdings „Muna, Rewriting Pictures“ (2017) von Dana Lorenz kritisierte, da es als eine Art feministische Nachkorrektur von einer gar nicht vorhandenen „sexualisierten Darstellung“ des Mädchens bei Antonioni ausginge, was dann auch ein nicht haltbarer Vorwurf gegen den Regisseur sein würde.
In den Rundgang ließ Kothenschule – der sich über die Verwendung von Analogfotografie ebenso freute wie über alle klaren Antonioni-Bezüge – sein filmhistorisches Wissen einfließen und erzählte auch von seiner Begegnung mit dem alten Antonioni, von dem er „Blow Up“ (1966) am meisten schätzt. „Er konnte nicht mehr sprechen, aber er hatte eine Frau, die ihm alles von den Lippen ablesen konnte. Was ihm sehr geholfen hat, war die Fähigkeit, zu malen, oder auch das Archiv von Bildern, das er bis dahin geschaffen hatte. Bei seinen letzten Filmen ‚Jenseits der Wolken‘ oder seiner Episode aus dem Episodenfilm ‚Eros‘, da hat er eben seine alten Aquarelle benutzt und den Kameraleuten und Austattern als Vorlagen hingelegt.“ Für die Darsteller sei es zu der Zeit aber eine Qual gewesen.
Der Film selbst ist zusammen mit zwei anderen günstig auf DVD zu haben, die am 18.9. um 19 Uhr auch noch in der Filmpalette mit einer thematischen Einführung gezeigt wird. In Raum 2 der Photographischen Sammlung können Besucher unter dem Titel „Trophy and Treasure“ weitere Bilder von Francesco Neri sehen, die in der Wohnung seiner Großeltern entstanden sind, bzw. zwischen dem 21. Oktober und 5. November Serien von Duane Michals, der den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie erhält.
„Il deserto rosso now – Photographische Reaktionen auf Antonionis Filmklassiker“ | bis 28.1. | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur | 0221 99 89 53 00
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