Der Architekt
Deutschland 2008, Laufzeit: 93 Min., FSK 12
Regie: Ina Weisse
Darsteller: Josef Bierbichler, Hilde van Mieghem, Sandra Hüller, Sophie Rois, Matthias Schweighöfer, Lucas Zolgar
Eine entfremdete Familie verschlägt es in ein verschneites Dorf. Konflikte brechen auf, Geheimnisse geraten an die Oberfläche.
Bildgewaltiges Familiendrama
Georg Winter (Josef Bierbichler) ist Architekt aus Leidenschaft: „Man denkt sich etwas aus und kann später hindurch gehen.“ So leicht funktioniert Georgs Familienleben nicht. Deshalb ist er auch lieber im Büro und auf der Baustelle. Der Tod seiner Mutter zwingt den Familienvater zur Rückkehr ins heimatliche Dorf nach Süddeutschland. Gemeinsam mit seiner Frau Eva (Hilde von Mieghem), Sohn Jan (Matthias Schweighöfer) und Tochter Reh (Sandra Hüller, „Requiem“) begibt er sich auf die unbequeme Fahrt, die keinen Abstand mehr zulässt. Schon gar nicht, als die vier das Dorf durch anhaltende Schneefälle nicht mehr verlassen können. Die wachsende Schneedecke verdeckt so einiges, nicht aber Georgs Geheimnisse aus der Vergangenheit. Und ebenso wenig die Unstimmigkeiten innerhalb der nur oberflächlich intakten Familie.
Regen und Lärm in Hamburg, Tiefschnee und Stille im Bergdorf: Im Langfilm-Debüt von Ina Weisse spricht die Natur ihre eigene Sprache, während sich die Protagonisten zunehmend in Schweigen hüllen, sich in Rotwein und Phrasen flüchten oder die Natur verdonnern. „Ich hasse die Natur“, flucht Eva, die ihre erwachsenen Kinder immer noch bemuttert und zu Disziplin gemahnt. Im Hintergrund spielen verloren mal Streicher, mal ein Klavier, wenn Georg auf der Beerdigung widerwillig auf alte Bekannte trifft, seine Frau die Stille verdammt und die Geschwister sich gemeinsam trösten, indem sie sich gegenseitig anhaltend gegen die Fersen treten. Eine Geste, die nicht nachvollziehbar bleibt und eine intime Erfahrung der Autorin (Drehbuch: Daphne Charizani) vermuten lässt. Das ist schon überbordend abstrakt, bleibt jedoch Ausnahme, während das Geheimnisvolle die Philosophie des Drehbuchs bleibt: Der Film setzt auf Atmosphäre und gibt sich rätselhaft bei seiner Thematisierung von Unvermögen zu Dialog und Wahrheit. Weisse inszeniert Gesten statt Worte, konfrontiert ihre urban entfremdeten Figuren mit Natur und Nacktheit. Damit schafft sie tolle Momente und Bilder, die den Zuschauer ebenso staunen lassen wie herausfordern.
Insgesamt ist der befremdliche Seelenspiegel der vier Familienmitglieder aber zu komplex, um am Ende ausreichend entwirrt zu werden: Die Sprachlosigkeit ist einerseits Stärke, aber auch Schwäche des Films. Das gleiche gilt für die Bilder, die sich aussagekräftig geben, aber für eine Deutung zu wenig Substanz bieten. So bleibt man am Ende atmosphärisch gebannt, fühlt sich aber zugleich allein gelassen. Weisse streut viel Poesie auf die Schneedecke, lässt aber nicht darunter blicken. Das ist insgesamt so undurchschaubar wie sehenswert.
(Hartmut Ernst)
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