Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Läuft wie geschmiert
Foto: CLIPAREA.COM / Adobe Stock

Ibuprofen wie Smarties

07. Oktober 2020

Fatale Folgen bei unreflektiertem Umgang mit Schmerzmitteln – Teil 1: Leitartikel

Nicht zurückstecken, weitermachen, leistungsfähig sein, auch wenn es ziept und zwackt oder der Erkältungsbrummschädel keinen klaren Gedanken zulässt. Statt sich mit Ruhe, frischer Luft und häufigem Trinken zu therapieren, führt der Weg oft zum Medizinschränkchen, wo man sich Schmerzmitteltabletten einschmeißt. Meist handelt es sich um folgende Wirkstoffe bzw. Medikamente: Acetylsalicylsäure (ASS), Iboprofen oder Paracetamol, aber auch Diclofenac und Voltaren gehören zu den beliebten nicht verschreibungspflichtigen Analgetika. Doch mit diesen Mitteln tut man nichts gegen die Ursachen von Unwohlsein oder Schmerz.

Die Meinung, was der Arzt nicht verschreiben muss, kann schon nicht (so) gefährlich sein, ist zum einen weitverbreitet und zum anderen falsch. Ärzte und Apotheker warnen immer häufiger vor den teils gravierenden gesundheitlichen Folgen, die die übermäßige oder regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln nach sich ziehen kann. So kann Paracetamol die Leber nachhaltig schädigen, ASS und Iboprofen greifen Magen und Nieren an und können zu innerem Bluten führen. Gleichzeitig steigt bei Voltaren und Paracetamol nach der Einnahme für bis zu 30 Tage das Risiko von Herzproblemen bis hin zur Herzattacke signifikant an. Je nach Mittel um bis zu 50 Prozent. Harmlos ist definitiv anders.

Laut dem Ärzteblatt legen Daten nahe, dass der Schmerzmittelkonsum der Deutschen „wenigstens unreflektiert“ ist. Jeder zweite Erwachsene schluckt demnach jeden Monat und ohne ärztlichen Rat mindestens einmal rezeptfreie Analgetika. Knapp 13 Prozent nehmen Iboprofen und Co. laut einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2014 auch länger als vier Tage, ohne einen Mediziner zu konsultieren.

Organschäden durch rezeptfreie Schmerzmittel

Alles deutet darauf hin, dass der Missbrauch von Schmerzmitteln ein gesellschaftliches Problem ist. Wer erkältet oder mit Schmerzen dennoch zur Arbeit kommt, gilt als harter Hund, alle anderen sind Weicheier. Wohin das führen kann, zeigen Beispiele aus dem Profi- aber auch aus dem Amateurfußball, wo der Gebrauch von Analgetika völlig aus dem Ruder zu laufen scheint, wie im Juli das Recherchenetzwerk Correctiv und die ARD-Dopingredaktion zeigten. „Was ich in den letzten 14 Jahren mitbekommen habe: Iboprofen wird wie Smarties verteilt“, sagt Union-Berlin-Verteidiger Neven Subotic über den Alltag in der Kabine. Ein Beispiel, welche schlimmen Folgen die regelmäßige Einnahme haben kann, stellt der ehemalige Werder Bremen-Profi und kroatische Nationalspieler Ivan Klasni dar. Ihm waren über Jahre Schmerzmittel von den Vereinsärzten auch prophylaktisch verabreicht worden, was zu einer Niereninsuffizienz führte. Klasni brauchte eine Spenderniere, die er von seiner Mutter bekam. Er spielte anschließend weiter und wurde vom Fußballmagazin Kicker mit der Ehrung „Mann des Jahres“ im deutschen Fußball 2007 ausgezeichnet. Übersetzt bedeutet die Ehrung: Setzt Gesundheit und Leben aufs Spiel und ihr seid ganze Kerle.

2008 belegt dann die Studie Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) die „Vorbildfunktion“ von Fußballern: 13 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen und knapp sechs Prozent der gleichaltrigen Jungen gaben an, in den letzten sieben Tagen vor der Befragung Schmerzmittel ohne medizinischen Rat eingenommen zu haben.

Mittlerweile lebt Klasni übrigens mit seiner dritten Spenderniere. Vor dem Landgericht Bremen verklagte er die Teamärzte von Werder. 100.000 Euro Schmerzensgeld und Verdienstausfall von einer Million Euro wurden ihm zugesprochen.


Schmerzbetrug - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

www.leberhilfe.org | Die Deutsche Leberhilfe e. V. versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe für Leberpatienten, deren Erkrankungen u.a. auf Medikamentengebrauch zurückgehen.
correctiv.org/aktuelles/fussballdoping/2020/06/26/die-problematik-duerfte-sich-verschaerfen | Beiträge des Recherche-Kollektivs zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball.
bergmannsheil.bg-kliniken.de/fileadmin/Dateien/bergmannsheil/files/anaesthesie/schmerz/download/richtiger_umgang_mit_schmerzmitteln_web.pdf | Ausführliche und übersichtliche Patienteninfo der RUB-Klinik über Schmerzmittel.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Oh weh!
Intro – Schmerzbetrug

„Das sind keine ungefährlichen Substanzen“
Schmerzmittelforscher über Schmerzmittel im Hobbysport – Teil 1: Interview

Gymnastik mit Gefühl
Der Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie Köln – Teil 1: Lokale Initiativen

Auf Tilidin in die Charts
Ist der Hip-Hop schuld am wachsenden Medikamentenmissbrauch? – Teil 2: Leitartikel

„Schmerz hat einen Sinn“
Mediziner über Opioide in Deutschland – Teil 2: Interview

Erste Hilfe beim Einstieg in den Ausstieg
Die Drogenhilfeeinrichtung Kick in Dortmund bietet Betreuung und Konsumräume – Teil 2: Lokale Initiativen

Heillos
Schulmedizin oder Alternativmedizin? Warum nicht einfach „und“ statt „oder“? – Teil 3: Leitartikel

„Naturmedikamente sind nicht harmlos“
Mediziner über Naturheilkunde und Integrative Medizin – Teil 3: Interview

Die unterschätzte Gefahr
Das Blaue Kreuz Wuppertal zeigt Wege aus der Sucht – Teil 3: Lokale Initiativen

Drogenkranke nicht mehr kriminalisiert
25 Gramm Cannabis pro Person sind seit 2001 eine Ordnungswidrigkeit – Europa-Vorbild: Portugal

Aus Sicht des Betroffenen
Was kein Schmerz aushält – Glosse

Leitartikel

HINWEIS