Da ich schon immer eine Schwäche für Außenseiter hatte, mir selbst aber zu einem solchen Lebensentwurf die Courage fehlte, schloss ich in der 9. Klasse des Gymnasiums eine Freundschaft zu dem einzigen echten Punk meiner Schule. Zum Zeichen unserer Verbindung schenkte sie mir ein T-Shirt der Band Die Kassierer sowie eine Kassette mit den größten Hits.
Ich trug das Shirt bis zu seiner völligen Auflösung zu jeder denkbaren Gelegenheit – es war die Entdeckung der Subversion in Zeiten des Eurodance. Die Tatsache, dass es in Wattenscheid eine Band gab, die davon sang, wie man mit einem Außenbordmotor Probleme lösen konnte, hatte mich tief beeindruckt. „Dich knöpf ich mir vor / mit meinem Motor / fräß‘ ich durch deine Stirn / tief in dein Gehirn“, hieß es da.
Zwanzig Jahre später kandidiert Wolfgang „Wölfi“ Wendland, Sänger dieser Zeilen, in Bochum für das Amt des Bürgermeisters, womit sich auf wundersame Weise ein Kreis schließt. Und tatsächlich könnte dieser Umstand ein Glücksfall sein, denn die Agenda des 52-Jährigen liest sich wie der Aufruf zu einer dringenden Erneuerung.
Lange hielt man die Kandidatur für einen Witz, denn wer Wendland einen Komplettspinner nennen möchte, findet hinreichend Gründe. Es dürfte nicht viele Politiker geben, deren Genitalien so wohldokumentiert sind, denn Kassierer-Konzerte sind ein Spektakel der Geschmacklosigkeit – am Ende sind alle nackt, und irgendwer hat sehr wahrscheinlich auf die Bühne uriniert.
Seine Kandidatur aber ist weit von einer Groteske entfernt. Zuletzt saß er von 2009 bis 2014 für Die Linke in der Bezirksvertretung von Bochum-Wattenscheid, davor war er Mitglied der APPD. Über sein schillerndes Wirken als Punk-Epigone kann man schnell vergessen, dass der gelernte Schriftsetzer sich mit Lokalpolitik auskennt.
Das präsentierte 10-Punkte-Wahlprogramm trägt den Titel „Bochum soll Großstadt werden“. Es ist ein unpathetischer Aufruf, die Belange der Stadt – die res publica – ernst zu nehmen. Im Kern des ur-demokratischen Dokumentes geht es um Gleichbehandlung, Bürokratie-Abbau, Jugendförderung, um einen Rückbau der Verbotskultur und um Transparenz. Es finden sich Sätze wie dieser: „In letzter Zeit hat es offensichtlich Hochkonjunktur, Verbote zu erlassen.“ Die Menschen hätten sich so sehr an leere Staatskassen gewöhnt, dass diese niemand mehr hinterfrage, so Wendland. Als OB aber würde er die Finanzen der Stadt öffentlich machen und in einer Broschüre die Fehlinvestitionen der letzten Jahre auflisten – er glaubt nicht an Politikverdrossenheit, nur die seit 1946 währende Regentschaft der SPD bereitet ihm Sorgen.
In dem Kassierer-Song „Staatsbeamter“ sang Wendland einmal: „Staatsbeamter möchte jeder gerne sein! / Staatsbeamter – schon der Titel schüchtert ein! / Staatsbeamter bin auch ich als Resultat / Denn wozu braucht es sonst einen Staat?“. So genial dieser Text ist, so sehr darf man sich einen Triumph Wendlands am 13.9. wünschen – für die Stadt, seine Bürger und mich würden hochinteressante Jahre anbrechen.
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