Manche Träume bleiben generationenübergreifend erhalten. Charlie Parker, dessen kurzes Leben privat von Drogen und Skandalen geschüttelt wurde und dessen Leichnam von den Ärzten der Obduktion auf 54 Jahre geschätzt wurde – dabei war er erst 34 –, hat sich seinen musikalischen Traum in Paris erfüllt: Der Altsaxophonist spielte verschiedene Titel über eine seifige Streicherbegleitung. Das war eine ganz große Auszeichnung für einen Jazzmusiker, der sich in den 40er Jahren vom Nobody zum Star hochgekämpft hatte. Parker reizte bei seinem Einbruch in die Welt der Konzertmusik sicher auch der gesellschaftliche Kick, den ihm das Konzertpodium verhieß. Plattenaufnahmen von damals landeten trotzdem später gern unter Raritäten im Plattenschrank des Jazzkenners.
Da sich die Drogenträume unter Jazzern in der Neuzeit auf ein Normalmaß wie bei anderen Kunsttreibenden reduziert haben, sind neben den phantastischen stilbildenden Bop-Improvisationen Parkers seine Streicherfantasien als musikalisches Teilziel unauslöschlich haften geblieben. Die Vorstellungen des streicherbegleiteten Standards sind über die Jahrzehnte hin variiert worden, und auch eine jüngere Band, die das Baujahr ihrer Mitglieder im Bandnamen trägt, startet jetzt einen neuen Versuch, dieser reizvollen Versuchung auf ihre Art zu erliegen. Das Projekt nennt sich ganz unpoetisch „Root 70 with strings“.
Komponist und Primus inter pares der aktuell betriebenen „conceptional works“ ist der Posaunist Nils Wogram. Seine außergewöhnlich solide Spieltechnik und seine große Musikalität prägen seine erfolgreiche Solistenkarriere, aber Nils ist zudem ein netter Kerl und immer für einen Spaß zu haben. Deshalb war recht viel los auf den Bühnen, die die ausgelassenen Jungs ab 2000 bespielten. Mal traten sie in Röcken auf wie durchgeknallte Waschweiber, mal turnte Saxophonist Hayden Chisholm beachtlich an einem Rollstuhl wie auf einem Barren, es wurden mehrfach außermusikalische Ideen präsentiert. Jetzt reizen Orchesterträume, allerdings in Kammerbesetzung.
Für seine Stücke hat Wogram Musiker aus der Klassik-Abteilung bemüht, die bereits intensive Begegnungen mit der Improvisierten Musik erlebt haben und sogar das Talent besitzen, auch spontan auf unnotierte Töne zu reagieren. Große Erfahrung besitzt Gareth Lubbe, Solobratschist im Gewandhausorchester, der sogar in der Freizeit das Obertonsingen erlernt hat. Adrian Brendel spielt Cello, bereits legendär sind seine musikalischen Begegnungen mit seinem Vater Alfred, weltberühmter Pianist und seit Langem auch Dichter. Auch Adrian hat früh die Liebe zum Jazz entdeckt, als Schüler agierte er schon mit der E-Gitarre auf klassikfeindlichem Terrain. Und Gerdur Gunnarsdottir kümmert sich seit Jahren um die isländische Folklore und ihre jazzige Aufarbeitung. Alle drei besitzen Roots in Köln, wie auch Wogram und die Band selbst. Insofern stellt das Konzert im Loft ein Heimspiel dar – leider genau parallel zur Kölner Musiknacht. Zwei herausragende Termine der Kölner Kultur fordern so die Entscheidung der Musikfreunde heraus. Vielleicht gilt ja auch hier: Konkurrenz belebt!
Loft: „Root 70 with strings“ I Sa 22.9.20.30 Uhr I www.loftkoeln.de
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