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Hiroh Kikai: A clerk who is letting her hair grow long, 1987, aus der Serie Asakusa
© Hiroh Kikai

Die Königsdisziplin

01. März 2016

Das fotografische Porträt in Köln und Bonn – Kunst 03/16

Die Porträtfotografie ist eine Art Königsdiziplin unter den Gattungen der Fotokunst. Das mag auch daran liegen, dass die Gesichtswahrnehmung anthropologisch betrachtet am Beginn der Menschwerdung steht. Unser Gehirn hat eine eigene Region für die Wahrnehmung der Gesichter entwickelt – interessanterweise genau jene Region, auf der sich später auch unsere Fähigkeit bildete, Schriften zu lesen. Wenn Gabriele Conrath-Scholl, die Leiterin des August Sander Archivs, behauptet, dass „die Fotografie unser humanes Gedächtnis“ sei, dann betont sie, dass die Essenz unseres Gedächtnisses die Bilder der Menschen sind, eingeschlossen jene, die nicht mehr lebend unter uns weilen. Was ihre fotografischen Abbilder umso wertvoller macht.

Vor diesem Hintergrund sehen wir „Mit Anderen Augen“: so der Titel der Doppelausstellung, die das Kunstmuseum Bonn und die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln jetzt veranstalten. „Das Porträt in der Zeitgenössischen Fotografie“, wie es im Untertitel heißt, verrät uns viel über unsere Zeit und das Bewusstsein, das wir von ihr haben. Wie stellen Menschen sich dar, wie wollen sie gesehen werden, auf welche Weise hat das Leben in ihren Gesichtern Spuren hinterlassen? Das sind nur einige wenige Aspekte, die von den 34 fotografischen Positionen in Bonn aufgeworfen werden. Fotografen wie Thomas Struth, Wolfgang Tilmans oder Jitka Hanzlová nehmen den Dialog zwischen Malerei und Fotografie auf. Michael Schmidt rückt das Verhältnis von Individuum und historischer Epoche in den Fokus, während Eckhard Korn oder Christopher Muller auf je eigene Weise die Welt der Gegenstände als charakteristisches Inventar der Selbstdarstellung ins Bild rücken.

Nicht nur die zeitgenössischen deutschen Fotografen, die in Bonn gezeigt werden, präsentieren sich mit jedem ihrer Werke als Künstler, die konzeptuell arbeiten. Auch die Auswahl der 18 internationalen Fotografen, die mit ganzen Serien in Köln vertreten sind, verfolgen über Jahre hinweg zielgerichtete Themen. Der Engländer Mark Neville zeigt seine Fotografien aus Afghanistan, auf denen sowohl die Soldaten als auch die einheimische Bevölkerung von fast kindlicher Jugend ist. Neville berichtet von den Soldaten, die zu fast 100 Prozent an Traumatisierungen leiden, wenn sie dann wieder ihr „normales“ Leben in der europäischen Heimat aufnehmen sollen. Die Tatsache, dass er solche Probleme beim Namen nennt, brachte ihm Zensur von Seiten des Staates ein.

Pepa Hristova erhält einen eigenen Ausstellungsbereich für ihre Aufnahmen der „Sworn Virgins“. Das sind Frauen, die in bulgarischen Dörfern die Stelle des Familienoberhaupts einnehmen, wenn es in der Sippe keine Väter oder Söhne mehr gibt. Sie verzichten auf eine eigene Paarbeziehung und üben die Rolle der Entscheidungsträger aus. Dabei verlieren sie alles Feminine und vermännlichen fast vollkommen in ihren Bewegungen und ihrer Erscheinung. Ein beeindruckendes Beispiel für kulturelle Prägung, die sich in die Physiognomie einschreibt. Der Franzose Charles Fréger schaut auf die Wirkung der Kleidung in der Arbeitswelt und den Traditionen der weiblichen Trachten. Der Japaner Hiroh Kikai beobachtet seit Jahrzehnten die Menschen seines Stadtteils in Tokio mit der Kamera. Er fotografiert sie auf der Straße, aber in so puristischen Hintergrundsituationen, dass man glaubt, den Menschen im Atelier zu begegnen.

Den Hintergründen kommt eine zentrale Funktion im Porträt zu, kaum jemand spielt diesen Aspekt so dramatisch aus wie der Südafrikaner Pieter Hugo. Er fotografierte auf den großen Müllhalden Ghanas, wo elektronischer Schrott verbrannt wird. Die Porträts der Arbeiter und Kinder präsentieren sich als Videos, auf denen im Vordergrund die Porträtierten bewegungslos stehen, während hinter ihnen die qualmenden Feuer und das rege Treiben auf den Halden zu sehen ist. Schon alleine die Fülle der Arbeiten summiert sich zu einem prächtigen Ausstellungsevent. Hier kann man viel über die Fotografie und den Zustand unserer Welt mit ihren Widersprüchen lernen. Ein Projekt, das Geschichte schreiben wird und, wie zu hoffen ist, die beiden Institutionen auch in Zukunft wieder zusammenbringt. Die Bürger der beiden Rheinstädte bringt diese Aktion in jedem Fall ein Stück näher.

„Mit andere Augen – Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie“:
Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7 | bis 29.5. | 0221 888 953 00
Kunstmuseum Bonn | Friedrich-Ebert-Allee 2 | bis 8.5. | 0228 77 62 60

Thomas Linden

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