Gehören Sie auch zu denen, die letzten November an einem Samstagmorgen um 10 Uhr aufgestanden sind, um einen Vormittag voller enttäuschter Hoffnungen vor ihrem Computer zu verbringen? Kraftwerk, das einzige Düsseldorfer Pop-Projekt von Weltrang, hatte acht Konzerte in der Heimatstadt angekündigt – die Server brachen unter der Last der Karten-Nachfrage zusammen. Für die Enttäuschten bietet sich aber zumindest visuell ein adäquater Ersatz. Seit 20 Jahren dokumentiert der Fotograf Peter Boettcher die Konzerte der Band, bis Ende Januar kann man diese Fotografien noch in Düsseldorf sehen. Denn wie alle großen Pop-Acts leben Kraftwerk von ihrem Zitatvorrat. Ihre Cover zitierten den russischen Futurismus und ihre Soundästhetik inspirierte wiederum eine Reihe von Aneignungsprozessen – teils sogar an Kraftwerks Heimatort Düsseldorf. Im Salon des Amateurs in der Kunsthalle am Grabbeplatz finden kunstsinnige Elektronik und Kuchen zusammen, am Wochenende wird historisch informiert aufgelegt und dazu getanzt. In nur wenigen Clubs bildet sich regelmäßig eine solche Traube um das DJ-Pult wie im Salon, um mit einem Blick über die Schulter den Titel der gerade gespielten Platte zu erhaschen.
Im benachbarten Köln ist die Kunstsinnigkeit bei Elektronikproduzenten ein wenig volkstümlicher ausgefallen. Die Tracks der Büdche Boys kennt eigentlich jeder – und auch wieder nicht: Es sind Coverversionen der Beastie Boys, vorgetragen auf breitestem Kölsch. „Keen Schlaf bis Neppes“ verspricht das Trio auf seinen T-Shirts, die gerade in der fünften Jahreszeit in der Stadt beliebt sind. Der Witz liegt in der Imitation. Wo für die New Yorker Beastie Boys die Party an der Brücke zu ihrer (damals noch recht betulichen) Heimat Brooklyn endete, fällt man im Kölner Norden halt mit dem Überschreiten des Grüngürtels in den Tiefschlaf. Und genau wie das Brooklyner Vorbild basteln die Büdche Boys die restlichen vier Jahreszeiten an eher schwer verdaulichen Beatgebilden zwischen Dancehall und Breakcore im Umfeld des Basspräsidiums-Labels, wo Gerüchten zufolge pünktlich zu Weiberfastnacht das erste Vinyl der Büdche Boys erscheinen soll.
Solche Zitate sind selbstverständlich weniger eine komplexe Idee, sondern eher das Zeugnis einer gewissen Sensibilität – genauso wie es Susan Sontag in ihren „Notizen über Camp“ formuliert hat. Die beiden Kölner Producer Sebastian Ingenhoff und Roland Kaiser Wilhelm wissen das und haben sich als Autodidakten unter dem Pseudonym Camp Inc. hinter die Sequencer und Drumcomputer gesetzt. Anstatt sich aber für diesen Akt harter Approbationsarbeit selbstreflexiv ständig auf die Schulter zu klopfen, ist ihr erstes Kassetten(!)-Release „Baustelle Kalk“ ein verspieltes Liveset aus dem gleichnamigen Kölner Hinterhofclub. Die live gespielten Drumpatterns versteigen sich zum Disco-Hochgefühl, während Synths und Sequenzer sich in schönster Daft Punk-Popseligkeit gefallen, ohne jemals obskur zu werden. So klingt Zitat-Elektronik, nachdem endlich jeder günstig Tracks produzieren kann – man kann sie mitsummen.
Salon des Amateurs | Grabbeplatz 4, Düsseldorf | www.salondesamateurs.de
Büdche Boys Releaseparty?| Do 7.2. 21 Uhr | King Georg | Sudermannstraße 2, Köln | www.kinggeorg.de
Camp Inc. – „Baustelle Kalk“ | Camp Magnetics 001 | www.soundcloud.com/camp-inc
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