Elif versucht, die ganz großen Versprechen in einfache Worte zu kleiden. Ihre Fürsorge heilt alles, ihre Zuneigung ist weltumspannend, ihr Durchhaltewille unbeugsam, egal wie stark der Schmerz brennt. Da reimt sich dann Kissen und küssen, und im Refrain heißt es auch schon mal Oh oh oh uh oh oh oh oh uh oh oh oh oh uh oh oh.
Wer sich selbst beschreibt als jemand, der immer fürs Drama ist, muss wohl eine solche Musik machen. Gesigned bei Universal, ist Elifs Seelenpop gekonnt produziert und hochglanzpoliert und fast makellos. Fast. Denn es gibt die Zwischentöne, das Kieksen in der Stimme, das Wegbrechen im Refrain, der Moment wo das Gefühl wichtiger ist als die Reinheit des Tons. Authentizität ist eine Pose ist eine Wahrheit ist als Pose die Wahrheit. Wenn es bei Popmusik darum geht, das private und öffentliche Leben / Hören / Sehen / Identitätkonstruieren miteinander zu verbinden, ist Elif eine Meisterin ihres Fachs. „Doppelleben“ heißt ihr neues Album. Wie sie im titelgebenden Song davon erzählt, sich vor ihren Eltern nicht mehr verstecken zu wollen, wie sie ihren Wunsch beschreibt, sich in allen Facetten zeigen zu können und alles sagen zu dürfen, das vibriert nicht nur vor Entschlossenheit, sondern zugleich auch vor tief empfundener Zärtlichkeit.
Die eigene Fragilität zur Kraft zu machen, das verbindet Elif mit vielen jungen deutschen Liedermacherinnen. Dass sie nicht mit ihrer Stimme brilliert, sondern die Töne leicht und samtig in die Musik tupft, ebenfalls. Und man muss nicht erst die Herkunft ihrer Eltern aus der Türkei bemühen, um verstehen zu können: den Doppelklang der Sehnsucht nach Geborgenheit, nach dem Gefühl von Aufgehobensein in einer Familie oder Beziehung, und dem gleichzeitigen Wunsch, ganz man selbst und unverstellt sein zu können. „Den ganzen Fake aufgeben“, singt Elif, und das mag für mehr stehen als Familienverhältnisse, denkt man daran, dass sie im Alter von 16 Jahren bei der ProSieben-Castingshow „Popstars“ teilnahm, wo sie es ins Finale schaffte.
Immer wieder geht es der gebürtigen Berlinerin um Eigensinn auf der einen und Akzeptanz auf der anderen Seite. Und nie um weniger als die gesamte Existenz. In dieser Einladung, alle Gefühlsschleusen zu öffnen, liegt etwas sehr Befreiendes. Man kann sich zuhause fühlen in diesen behutsam instrumentierten, chansonhaften Liedern. Man kann sich verwandt fühlen mit dieser Inszenierung, die nach Perfektion sucht und doch immer demonstrativ das Menschliche an erste Stelle setzen will. Und man kann sich getröstet finden in diesem ewigen Versprechen der Popmusik: „Du wirst Dich gut fühlen.“ So singt es Elif, und an anderer Stelle: „Nichts tut für immer weh.“ Und das möchte man ihr – so zauberhaft ihre Melancholie auch sein mag – aus ganzem Herzen wünschen.
Elif | Fr 9.3. 20 Uhr | Münster – Skaters Palace | Sa 10.3. 20 Uhr | Düsseldorf – zakk Halle | So 11.3. 20 Uhr | Köln – Luxor
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Deutschlands Ska-Pioniere
The Busters in Siegburg
Nicht alle sind supersympathisch
(Kinder-)Geburtstags- und Weihnachtsfeiern on Stage – Unterhaltungsmusik 12/24
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24
Helldunkler Sommer
Fröhlich und finster lockt die Festivalzeit – Unterhaltungsmusik 07/24
Und der Tag wird gut
Suzan Köcher‘s Suprafon beim Bonner Museumsmeilenfest – Musik 06/24
Folklore-Crossover
Wundersame Mischungen im Konzert – Unterhaltungsmusik 06/24
Gesang mit Starqualität
Aka Kelzz im Yuca auf der Kölner c/o Pop – Musik 05/24
An der Front: Sängerinnen
Post Punk neu arrangiert und interpretiert – Unterhaltungsmusik 05/24
Trotz finanziell angespannter Lage
Konzerte im Kölner Stadtgarten im Januar – Improvisierte Musik in NRW 01/25
Intime Weltenwanderer
Markus Stockhausen und Ferenc Snétberger im Parkhotel Engelsburg – Improvisierte Musik in NRW 12/24
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24