Wer in den letzten fünfzehn Jahren im Ruhrgebiet ausgegangen ist, der  dürfte Thomas Geier schon mal über den Weg gelaufen sein. Egal ob als  Drummer bei der Essener Band „Die Regierung“ oder als DJ im Club Rote  Liebe – Geier ist Resident auf vielen Hochzeiten. Mit im Gespann ist  dabei Yoshino. Er ist studierter Musiker, nebenbei produzierte er in den  90ern House. Beide trafen sich in der Roten Liebe. Geier legt eine von  seinen Platten auf, Yoshino findet‘s super, die Euphorie hält bis heute  an.
Ihr neuestes Projekt hört auf den Namen „Festland“. Es ist  ein Rettungsanker, besonders in einer Region, die damit wirbt, noch  nicht angekommen zu sein. Und trotzdem ist auf ihrem Album „Welt  verbrennt“ viel von Reisen die Rede. Es sind kleine Bildungsreisen:  selbstorganisiert, vielstimmig und von Neugier getrieben – nicht  pauschal dem Kanon hinterher. Und trotzdem sind sie voller Echos aus  House, Blues und Schuberts Winterreise.
Als „Zitatpop“ hat man  solche Musik mal bezeichnet, doch bei Festland ist die Klugheit  sanftmütig. Drei Musiker mit Uni-Abschluss machen noch keine  Referenzhölle. Stattdessen ist „Welt verbrennt“ das Resultat einer  andauernden Improvisation – miteinander, mit den Beschränkungen und  Möglichkeiten von Software und mit der Rolle von Instrumenten. Bassist  DDFM spielt sein Instrument ohne Wuchtigkeit, tastet sich vorsichtig  durch die Effektregler weg vom ursprünglichen Sound hin zu einer  sanftweichen Melange aus Tieffrequenzen. So wird aus der Musik das  Geräusch von Zwischenräumen, ein Bausatz aus Klangklötzchen, deren  Umrisse niemals klar erkennbar werden. Unterstützt wird er dabei von  Thomas Geiers Schlagzeug, federnd mit und für den im Club geformten  Körper gespielt. Und darüber liegt eine weitere Klangschicht als  glasklaren Synthesizern, unverzerrten E-Gitarren und einem Gesang,  dessen Leichtigkeit nicht mit Unbeschwertheit verwechselt werden sollte.  Es sind die Stimmen von Geier und Yoshino. Sie umgarnen sich: mal in  der Einstimmigkeit verdoppelt, dann wieder als Rede und Gegenrede.
Und  trotzdem spricht auf dem Album ein anderer. Es ist Fabian Weinecke, ein  Malerfreund aus Berlin, dessen Bilder auch das Booklet der CD zieren.  Immer wieder schickt er seine Texte zurück in die Heimatstadt Essen.  Meist ohne äußeren Anlass. Sie berichten vom Unterwegssein in der  Zeichenlosigkeit, vom einfachen Gefühl des Unwohlseins, vom Recht auf  Glück in der Stadt, und das ohne große Worte. Denn „Festland“ ist kein  Kontinent, sondern ein Atoll, ein loser Verbund aus Gesinnungsgleichen.  Mit dabei ist auch Norman Nitzsche, ebenfalls ein Exil-Essener und heute  der Festland-Produzent. Über ihn kam der Kontakt zum Hamburger Label  Zick Zack zustande, wo Festland unter Vertrag sind. Und in guter  Gesellschaft. Bei Labelchef Alfred Hilsberg versammelt ein kleines  Überbleibsel an Sprachspielavantgardisten, die wundervoll undeutsch  musizieren. Was das ist, kann man nicht sagen. Es hat keinen Namen, nur  einen Klang.
Festland: „Welt verbrennt“ (Zick Zack/Broken Silence)
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