Fünf Jahre sind vergangen, seit Claire-Louise Bennetts literarisches Debüt „Teich“ in Deutschland erschien. Seither werden ihre Texte, die aus einer Art autobiographischem Schreiben bestehen, in hymnischen Rezensionen gefeiert. In ihrer Prosaskizze „Teich“ erzählt sie von einer jungen Frau, die sich nach einigen beruflichen und persönlichen Enttäuschungen in ein einsames Bruchsteinhaus am Rande der irischen Grafschaft Galway zurückgezogen hat. Das Buch beschreibt das Leben in einem Zustand der Ereignislosigkeit, in dem das Alleinsein unweigerlich die Wahrnehmung schärft. Wie gelingt es, das zu beschreiben, was wir täglich erleben und erinnern, ohne dass sich dieses Material zu einer Story rundet? Eine Frage, die auch den Ton ihres neuen Buchs „Kasse 19“ bestimmt.
Der Titel spielt auf einen Job als Kassiererin in einem Supermarkt an, mit dem sich die Erzählerin ihre Studienzeit finanzierte. Dort steckt ihr ein schweigsamer Kunde eine Ausgabe von Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“ zu. Wortlos scheint der Mann verstanden zu haben, wer da hinter dem Band sitzt. Die Literatur stellt so etwas wie das Rückgrat der ansonsten prekären Existenz dieser jungen Frau dar, die sich, ihren Körper und die Welt zu verstehen versucht. Die Sprache bildet den Schlüssel dazu. Gleich das erste Kapitel – das Mädchen geht noch in der Arbeiterstadt im Westen Englands zur Schule – erzählt vom Umgang mit den Büchern und der Lust an den Worten. Alles wird verschlungen, neben der englischen, französischen oder deutschen Literatur sind es die klassischen Texte der Philosophie und des Feminismus, die dieses Frauenleben begleiten.
Die Prosa der Claire-Louise Bennett wird von einem drängenden Rhythmusvorangetrieben.Sätze werden wiederholt oder bekräftigt. Wichtiger als die Bedeutung ist der Nachdruck, mit dem gesprochen wird. Bennett vermeidet absichtsvoll jede Doppelbödigkeit, auch Metaphern kommen kaum vor.IhreErzählerin bleibt bewusst an der Oberfläche. Alle Anstrengung ist auf die Wahrhaftigkeit ihres Erlebens gerichtet.Dahergibt es Korrekturen oder Einschübe, ganz so, als säße sie ihrer Leserschaft am Küchentisch gegenüber. Deshalb mag man mit dem Lesen auch gar nicht mehr aufhören.
Claire-Louise Bennett: Kasse 19 | Deutsch von Eva Bonné | Luchterhand | 304 Seiten | 22 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25