Nach der Neuverfilmung von „Deutschstunde“ legt die ZDF-Tochter Network Movie im Kino nach. Auch Franziska Stünkels „Nahschuss“ beschäftigt sich mit einem Stück deutscher Geschichte. Das Drama, das auf dem Münchner Filmfest Premiere hatte und dort gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet wurde, ist inspiriert vom Leben des Wissenschaftlers Dr. Werner Teske, der am 26. Juni 1981 als letzter DDR-Bürger hingerichtet wurde. Produzentin Bettina Wente erzählt von den Dreharbeiten und der Bedeutung des Stoffes.
Frau Wente, „Nahschuss“ hat seit seiner Premiere ein großes Echo ausgelöst. Auch die Nachfrage der Kinos ist hoch. Haben Sie damit gerechnet?
Bettina Wente: Die Regisseurin Franziska Stünkel und ich haben gehofft, dass dieses Portrait eines Menschen, der sich politisch und sozial isoliert und dafür mit dem Tode bestraft wird, sein Publikum findet. Angelehnt an einen wahren Fall erzählt „Nahschuss“, zu welcher Gewalt politische Systeme fähig sind. Dass es in der DDR die Todesstrafe gab, war mir selbst bis zur Begegnung mit Franziska Stünkel nicht bekannt - und ich nehme an, dass ich damit nicht allein bin. Doch wir wollten das letzte Todesurteil der DDR nicht rein historisch begreifen. Uns scheint die geschichtliche Aufarbeitung wesentlich, um unsere Gegenwart zu verstehen. Um sensibel zu werden für die Fragilität politischer Systeme und die Ambiguität der Menschen, die sich in diesen Systemen bewegen oder bewegen müssen. So hat Franziska und mich bei der Arbeit am Drehbuch auch die Frage umgetrieben, wie wir selbst uns in einem rigiden politischen System verhalten würden. Die ersten positiven Reaktionen auf den Film auf dem Münchner Filmfest und in der Presse haben uns jedenfalls sehr gefreut.
Was ist in Ihren Augen das Besondere an dem Film?
Franz Walter erleben wir am Anfang des Films als positiven jungen Mann. Er ist verliebt, frisch promoviert und will zu Forschungszwecken nach Afrika reisen. Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes halten ihn von der Ausreise ab und stellen ihm eine Professur in Aussicht, sein Lebenstraum. Allerdings soll Franz dafür zunächst für den Geheimdienst der DDR arbeiten. Franz nimmt dieses Angebot an, bietet sich damit doch die Chance auf ein angenehmes Leben – mit seiner zukünftigen Frau in einer modernen Wohnung, die ihm sein neuer Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Und warum sollte er dem Staat, in dem er lebt, nicht dienen? Doch je mehr Franz sich auf seine Arbeit bei der HVA einlässt, umso klarer wird ihm, dass dies nicht sein Leben ist. Er sucht nach einem Ausweg, aber findet ihn nicht. Er sagt: „Ich würde so gerne gehen, aber ich weiß nicht, wohin.“ Franz trinkt und verstummt. Erst als seine Frau ihn verlassen will, beschließt er, gemeinsam mit ihr zu fliehen.
Als ich das Drehbuch das erste Mal las, hatte der Stoff bereits eine sehr klare Gestalt. Franziska wollte die Geschichte Franz Walters subjektiv erzählen. Sie wollte nah an ihrem Protagonisten bleiben, dessen Welt zunehmend enger und dunkler wird. Lars Eidinger nun auf der Leinwand zuzuschauen und zu spüren, wie seine Figur sich immer weiter isoliert und schließlich fast implodiert, das wirkt auf mich immer wieder berührend und ist großes Kino.
Gab es ungewöhnliche Herausforderungen beim Dreh?
Drehen ist ja immer eine Herausforderung. Und immer neu. Das liebe ich daran. Bei „Nahschuss“ war das Besondere, dass wir mit Franziska eine Regisseurin in unserer Mitte hatten, die für ihr Projekt total brennt. Wir sind gemeinsam wortwörtlich durch dick und dünn gegangen, Corona inklusive.
Der Film kommt bis zum Ende komplett ohne Musik aus.
Ja, dem Protagonisten Franz Walter soll man nicht nur visuell nah sein, sondern auch akustisch. Sein Atem soll den Film tragen und rhythmisieren. Deshalb verzichtet „Nahschuss“ komplett auf Score, bis Franz aufhört zu atmen. So kommt die ganze Kraft der Filmmusik von Sebastian Karim Elias erstmals im Abspann zum Einsatz, und gibt dem Zuschauer genau da den Raum, den Film nachklingen zu lassen, bevor das Licht wieder angeht.
Franziska Stünkel hat mehrfach betont, wie sehr sie den Dreh an authentischen Schauplätzen schätzt. Teilen Sie ihre Meinung?
Ja. Ich glaube auch, dass Orten eine Geschichte eingeschrieben ist. Und wenn man sich auf die Atmosphäre eines Orts einlassen kann und wie unsere wunderbaren Schauspieler*innen eine große Durchlässigkeit hat, kann es zu einer Interaktion zwischen Ort und Spiel kommen, die sich auf magische Weise auf die Leinwand überträgt.
Das Ministerium für Staatssicherheit hielt den Mord an Teske lange Zeit geheim, Teskes Familie wurde sogar mit einer neuen Identität ausgestattet. Ist dieses letzte vollstreckte Todesurteil in Ihren Augen auch ein erster Hinweis auf einen zusammenbrechenden Staatsapparat gewesen? Macht das „Nahschuss“ vielleicht auch deshalb so relevant?
Möglicherweise kann man das so sehen. Uns hat an dem Fall aber vor allem die Diskrepanz zwischen Vergehen und Urteil beschäftigt. Nach der erfolgreichen Flucht eines Oberleutnants der Hauptverwaltung Aufklärung sah sich Erich Mielke 1981 genötigt, ein Exempel zu statuieren. Er hielt seine Mitarbeiter an, Verräter gegebenenfalls auch ohne Gerichtsurteil hinzurichten. So kam es, dass Werner Teske wegen eines nicht begangenen Verrats zum Tode verurteilt wurde. 1998 mussten sich einer der Richter und ein Staatsanwalt in der Bundesrepublik wegen Justizmordes an Werner Teske verantworten. Sie wurden schuldig gesprochen, weil Teske selbst nach dem gängigen DDR-Recht völlig zu Unrecht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Es ging im Prozess gegen ihn nicht um seine Person, sondern um eine Machtdemonstration des Staates, in dem er lebte. Hier zeigt sich ein politisches Unrechtsystem in all seiner Gewalt - und Willkür. Das System DDR brach acht Jahre später zusammen, aber Gewalt und Willkür finden sich noch immer. So warten derzeit weltweit über 25.000 Menschen in 56 Ländern auf ihre Hinrichtung.
Nach der Wiederöffnung der Kinos zeichnet sich besonders für Filme mit gesellschaftlich relevanten Themen ein Comeback ab. Werden Produktionen wie Ihre „Deutschstunde“ oder „Nahschuss“ wichtiger für die Kinos?
Ich glaube, dass gesellschaftspolitische Themen relevant sind und wir öffentliche Diskurse brauchen, die konstruktiv sind und inklusiv wirken. Kino kann da Impulse geben. Wenn mich ein Film berührt, kann ich mich im dunklen Saal emotional öffnen und verbinden. Und ja, ich hoffe sehr, dass es im post-pandemischen Kino für alle Arten von Filmen weiterhin Raum und Publikum gibt.
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