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Mit Maske so wie ohne: Der Rapper Illoyal
Foto: Katharina Hertle

Berlin ist weit entfernt

30. Oktober 2012

NRW nähert sich Gangsta-Rap aus ungewohnten Richtungen – Popkultur in NRW 11/12

Nirgendwo ist Authentizität ein so großes Gut wie im Gangsta-Rap. In diesem Hip-Hop-Subgenre, dessen zentrale Rollen nach landläufigem Vorurteil zumeist unterprivilegierten und Migranten-Schichten vorbehalten sind, muss man das harte Leben auf der Straße kennen, um glaubhaft davon sprechen zu können. Das allein schafft eine Berechtigung, die in Deutschland speziell Berliner Künstler wie Sido oder Bushido zu Prominenz und Reichtum führte.

Nun ist Nordrhein-Westfalen nicht Berlin, geschweige denn nahe der Metropolen der Ost- oder Westküste der USA gelegen, wo Gangsta-Rap mit Kool G Rap und Ice Cube in den späten 1980ern entstand und später mit 2Pac oder dem Notorious B.I.G. seine erste Blütezeit erlebte. Auch wenn die sozialen Unterschiede etwa im Ruhrgebiet ansatzweise vergleichbar sind und ebendort, in Duisburg, der ebenfalls in Berlin lebende Gangsta-Rapper Massiv für eine der ersten von den Massenmedien wahrgenommenen gewalttätigen Auseinandersetzungen sorgte – es fehlt hier allein schon der offensiv zur Schau gestellte Reichtum, um Gangsta-Rap und seinen Protagonisten den nötigen Glamour von Unterdrückung und Gefahr zu vermitteln.

Es liegt dementsprechend wohl auch an der vorliegenden Sozialstruktur der Region, dass die spannendsten Gangsta-Rap-Erscheinungen, die den ursprünglichen Ethos des Stils beinahe sogar ins Absurde überdrehen, aus gänzlich anderen Milieus stammen. Der Kölner Rapper Illoyal etwa hat gemeinsam mit dem Essener Produzenten BassDeaph eine EP namens „Räuberpistolen“ vorgelegt, die Gangsta-Rap mit all seinen Sexismen und ungesunden Werten schrill übertreibt. Illoyal zeichnet sich so sehr durch völlig Hip-Hop-untypische Arrangements und ein distinguiertes Sprachverständnis aus, dass die Frage, ob hier vermeintlich „authentisches“ Storytelling vorliegt, mit „nein“ beantwortet werden muss. Der Rapper, dessen 2011 erschienenes Album „Das Krankenhaus ist unendlich“ noch überhaupt nichts mit der Gangsta-Thematik am Hut hatte, verlegt sich in seinen neuen Songs gänzlich auf die Disziplin „Battle-Rap“ und beweist darin, dass das satirische Stilmittel der Übertreibung in diesem Feld noch so wirkungsvoll wie unterhaltsam einsetzbar ist. Dass Illoyal neben seinem Auftreten als Rapper auch noch Jazzmusiker und Schlagzeuger der eher als androgyn und experimentell bekannten Elektro/Kraut-Band Stabil Elite ist, zerstört in den Kategorien von Gangsta-Rap-Fans auch noch das letzte bisschen Authentizität.

Was Illoyal in der Praxis ad absurdum führt, beschreiben Marc Dietrich und Martin Seeliger in der Theorie. Die beiden Bochumer Sozialwissenschaftler haben mit dem im Bielefelder Transcript Verlag erschienenen Band „Deutscher Gangsta-Rap: Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen“ eine der ersten umfassenden Anthologien zu Werdegang, Bedeutung und Deutung des Genres herausgegeben. Das Buch lässt weder den historischen noch den soziologischen Bedeutungsgehalt des Stils außer Acht und schafft eine anschauliche Einführung für alle, denen böse schwarze Männer mit ihrer Musik und ihren Geschichten aus der Gosse keine Angst machen können.

illoyal.bandcamp.com
www.transcript-verlag.de

Christian Steinbrink

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