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Der Lärm kann weitergehen. Effektpedale im Gebäude 9.
Foto: Doccedi 69 (CC-BY-SA)

Tiefenentspannte Beats und Investorengelüste

30. April 2014

Der April pendelte zwischen Weltfluchtelektronik und irdischen Ängsten – Popkultur in NRW 05/14

Für Popfans an Rhein und Ruhr war der April ein schöner Monat. Gleich zu Beginn erschien das tolle Debütalbum von Vermont, dem Elektronik-Projekt von Markus Worgull (Köln) und Danilo Plessow (Utrecht). Vierzehn Tracks, vierzehn Variationen über das Thema Tiefenentspannung mit Oberfächenreizen, die zugleich ein Streifzug durch den Sound ihres Labels Kompakt zwischen tiefsinnig dahinplätschender Analog-Elektronik und den Exkursionen der Pop Ambient-Reihe darstellen. Und gegen Ende des Monats zeichnete sich „Welt verhindern", das neue Album von Susanne Blech, am Ende des Horizonts ab. Das Projekt aus dem Ruhrgebiet hat seinen Elektro-Sound noch einmal zugespitzt und macht sich damit auf, die etwas weniger plakative Variante von Deichkind zu werden.

Zwischen diesen beiden Ereignissen lagen aber ein paar Wochen des Bangens. Verantwortlich dafür war eine Nachrichtenmeldung: Ein Investor will in einem Kölner Neubaugebiet namens „Mülheim-Süd" eine Wohnsiedlung inklusive gewerblicher Nutzung aus dem Boden stampfen. Vor ewiger Zeit wurden auf dem gleichen Gelände einmal Maschinen gebaut, in den letzten Jahren kamen die lautesten Geräusche aber vom Klappern der Tastaturen im Coworking-Space und von ein paar Verstärkern auf der Bühne des Musikclubs „Gebäude 9". Ebendieses Gebäude 9 hätte gegen Ende des Jahres eventuell schließen müssen, weil die Bezirksvertretung Köln- Mülheim den Plänen des Investors zustimmte: Wohnsiedlung und Konzerte – das passt nicht. Innerhalb weniger Stunden hatten sich die Beschwerdeführerinnen gegen diese Pläne organisiert. Zugegeben, Facebookgruppe und Online-Unterschriftensammlung sind Standardfeatures jeglichen organisierten Unbehagens. Aber für das Gebäude 9 warfen sich schnell nicht nur 15.000 Konzertgänger in die digitale Bresche, sondern auch die dort auftretende Indieprominenz zwischen Eric Pfeil (eher lokal prominent) und Stephen Malkmus (eher international prominent). Und weil das alles wenige Wochen vor den Kommunalwahlen stattfand, blieben auch die Kölner Parteien nicht fern – inklusive Grünen und SPD, deren Vertreter in der Bezirksvertretung zuvor noch den Plänen des Investors zugestimmt hatten. Mitte April kam schließlich die erlösende Nachricht: In einem Gespräch zwischen Investor, SPD-Chef Martin Börschel und den Betreibern des Gebäude 9 konnte man sich auf eine Verlängerung des Mietvertrags für das Jahr 2015 einigen.

Ende gut, alles gut? Leider nein. Nicht nur ist die Vertragsverlängerung lediglich ein Etappensieg für die Betreiber des Gebäude 9, dessen Status als „Zwischennutzung" mittlerweile über 17 Jahre andauert, was sich in ausbleibenden Investitionen in eine erstklassige Anlage niederschlägt. Und leider zeigte sich wieder einmal, wie zahnlos die Mittel der Petitionsbourgeoisie sind, wenn es um handfeste materielle Interessen geht. Ohne die Mithilfe von Politik und Verwaltung im Wahljahr hätte das Gebäude 9 nur wenig Überlebenschancen gehabt. Für Musikfans, denen der Erhalt ihrer Lieblingsorte am Herzen liegt, bedeutet das leider eine Menge Arbeit. Solange Clubs und Konzertorte nur dazu dienen, ein Gelände für eine zukünftige Nutzung durch Investoren aufzuwerten, können diese den knappen Wohnraum in der Stadt immer wieder als Argument gegen uns Popfans nutzen. Vielleicht sollten wir uns einfach mal ein wenig mehr interessieren: für Lokalpolitik, für Mieterinitativen, für unsere Stadt. Denn das nächste Gebäude 9 kommt bestimmt.

Vermont: „Vermont" (Kompakt)
Susanne Blech: „Welt verhindern" (Sony)

Christian Werthschulte

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