Ein Haus, das vier Tage nichts als Tanz bietet. Das muss man gesehen haben. Etwas Beglückendes hat diese geballte Ladung an Kreativität, Lebensfreude und ästhetischer Raffinesse, der man in Wuppertals Kulturzentrum die börse während des Internationalen Dance-on-Screen Festivals TANZRAUSCHEN begegnet. Über die Etagen hinweg konnte man am letzten Januarwochenende Clips und Filme anschauen, Videoinstallationen bewundern oder sich auf der großen Kinoleinwand im Liegestuhl das zehnstündige Tanzfilmprogramm hineinziehen.
Schauen und Machen gingen bei dieser ersten Ausgabe des Festivals aber Hand in Hand, denn in den Workshops demonstrierten Choreographen und Tänzer zum Beispiel, wie man mit Dramaturgie arbeitet oder Notationen für Tanzstücke entwickelt. Oder man spielte an der Interactive Dance Machine, die nicht nur die Kinder begeisterte. Der jeweilige Körper wird mit Lichtbahnen abgetastet, um dann die Bewegungsmuster während eines digitalen Spiels aufzuzeichnen.
In solch unbeschwerten Situationen bekommt man eine Vorstellung von der Schönheit und Eigenart alltäglicher Bewegungen. Wenn ich sie wahrnehme, bin ich schon ganz nah an den Experimenten der Tanzkunst unserer Gegenwart. Bewegung und das Spiel mit ihr, vor allem jedoch die Transformation in bedeutsame Gesten und Erzählungen sind das Futter der Tanzfilme und Clips. Das Festival zeigt denn auch, dass man im Zeitalter von YouTube keine Überzeugungsarbeit mehr leisten muss, um die Verbindung von Tanz und Filmkunst plausibel zu machen. Schon die Jüngsten verfolgen auf ihren iPhones atemberaubende Tanzeinlagen, ohne dass sie etwas daran ungewöhnlich finden würden. Wie anders war das noch in den 90er Jahren, als die SK Stiftung Kultur den Tanzfilm kontinuierlich bewarb und unters Volk brachte. Damals schon waren die Besucherzahlen der Tanzfilmnächte in Köln überwältigend. Fatal, dass man dem eigenen Spürsinn nicht traute und diese Kunstgattung der Zukunft in den Jahren nach der Jahrtausendwende wie eine heiße Kartoffel wieder fallen ließ.
In Wuppertal präsentiert sich eben auch ein Filmfestival. Die Bildexperimente eines David Hinton, eines Emir Eralp oder der niederländischen „Looking Forward Trilogie“ von Roberta Marques bescheren faszinierende Kinoerlebnisse. Bewegung bleibt für den Film immer eine Herausforderung, im digitalen Zeitalter mit seiner Klaviatur visueller Effekte stößt man hier auf ungemein intelligent konzipierte Kunstwerke. Deshalb bot man Partnerfestivals aus Athen, Amsterdam, Kapstadt, Stockholm oder Kopenhagen die Möglichkeit, ihre besten Filme in Wuppertal zu zeigen. Sofort entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit Amsterdam für das nächste Jahr. Direktorin Kerstin Hamburg musste überrascht feststellen, dass in Deutschland das Interesse der Kreativ-Industrie größer war als im Bereich der kulturellen Förderung. Obwohl Kurator Sigurd-Christian Evers dort Kernerarbeit geleistet hat, „denn die Entscheider müssen verstehen, was hier geschieht“, erklärt er. Nur dann wird die Arbeit, die hier geleistet wird, Früchte tragen. Evers weiß dass in der kulturellen Förderung interdisziplinäre Projekte gerne angemahnt werden. Wenn sie dann jedoch ihre Realisierung erfahren, gibt es Kopfzerbrechen angesichts der Frage, mit welcher Förderschublade die Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen. Wuppertal hat jedenfalls alles richtig gemacht, um in Zukunft einen noch stärkeren Akzent in der Tanzlandschaft setzen zu können.
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