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Happy Birthday, Hitparade
Foto: Dominik Lenze

Selbsterfüllende Prophezeiung vom Einheitsbrei

28. Januar 2016

Wie haben 80 Jahre „Hitparade“ die Popmusik geformt? – Popkultur in NRW 02/16

Ob auf der Arbeit oder im Auto: Wo der musikalische Selbstbedienungsladen nicht erklickbar ist, ärgert sich der Musikfan über den ewig gleichen Einheitsbrei, den viele Radiosender in den Äther blasen. Die Musikrotation orientiert sich nunmal an den Charts – ein Konzept, das diesen Januar seinen 80. Geburtstag feierte.

Doch bilden Bestseller-Listen die Musikpräferenzen wirklich verlässlich ab? Stichworte: Youtube, Streaming, illegale Downloads. Und führte die Orientierung an reinen Kommerz-Kriterien nicht letztlich zu jener Einfarbigkeit im Mainstream?

Ein Blick in die Musikgeschichte legt das nahe: 1936 veröffentlichte Billboard die ersten Charts. Das heutige US-Branchenblatt war damals als ein kleines Werbe-Magazin und die Hit-List umfasste lediglich drei Titel. Die Idee: Jukebox-Bestücker (noch so ein Relikt der Musikgeschichte!) konnten sich so an den beliebtesten Titeln orientieren.

In den folgenden Jahrzehnten veränderte sich die Radio-Landschaft: Die auf Genres spezialisierten Sender wichen dem „Top 40“-Radio. Und ob er zum Hit wird, da hat der Song wenig mitzureden: Die Temptations kletterten mit „Papa Was a Rolling Stone“ auf Platz 1 der US-Charts – von The Undisputed Truth, die ihn zuerst interpretierten, spricht kaum jemand mehr. Aus heutiger Sicht ist es sowieso kurios, dass ein 12-minütiger Song die Charts stürmt: Längst haben sich Radio-Edits durchgesetzt, eine für die vermeintlichen Hörgewohnheiten des Publikums kastrierte Version des Originals – Strophe, Bridge, Refrain in den dogmatischen drei Minuten. Die am Reißbrett geplante Form ist inzwischen Standard – die Prophezeiung hat sich selbst erfüllt.

Dass ein Charterfolg mit musikalischer Qualität nichts zu tun haben muss, ist eine Binsenweisheit. Doch es gibt noch weitere Kuriosa: Selbst manche Indie-Labels stimmen Veröffentlichungen so ab, dass sie nicht am gleichen Tag wie beispielsweise ein David-Bowie-Best-of erscheinen. Nicht, weil die tote Ikone wirklich Kaufkraft abzieht, aber ein sicherer Platz 1 ist, den das Label unter Umständen zu Werbezwecken angepeilt hat. Erst Recht, wenn es zum Best-of noch DVD-Box, bibeldickes Booklet und allerlei Brimborium für ein paar Euro mehr oben drauf gibt – denn seit 2007 orientieren sich die deutschen Charts nicht mehr an der Anzahl der Verkäufe, sondern deren Wert. Wer seine Musik also preisgünstig unters Volk bringt, mag vielleicht viele Hörer finden, in den Charts wird sich das so nicht abbilden.

Inzwischen fließen auch legale Streams in die Charts ein – im musikalischen Selbstbedienungsladen wird nun wöchentlich Inventur gemacht. Und siehe da: Die GfK, die die deutschen Musikcharts ermittelt, beobachtet einen Trend zur Differenzierung: Nicht nur Pop und Rock, auch Metal, Hip-Hop oder Elektro erklimmen mehr und mehr die Hitlisten.

Vielleicht dreht sich die Geschichte ja wieder um, und die graue Landschaft der Top100-Radios wandelt sich wieder zu einem bunten Garten für Musikfans. Vielleicht erfüllt sich ja auch diese Prophezeiung selbst.

Dominik Lenze

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