Manchmal sind es auch die Schreiberlinge, die Kolumnisten, die freigeistigen Laudatoren zu runden Geburtstagen, die nicht mehr ganz frisch in der Birne sind. Besonders bei Musikkritikern kann die nimmersatte Neugier, die existentiell mit diesem Beruf und dem ihm zugeordneten Thema „Zeitgenössische Musik“ verbunden ist, nach Jahrzehnten Ermüdungserscheinungen erleiden.
Deshalb möchte ich diese kleine Rede zum 25. Wiegenfest des Stadtgartens, dieser zur Zeit der Eröffnung in Europa einzigartig hochmodernen und toleranten Kulturbühne für aktuelle Musik, recht vorsichtig beginnen: Wir erwischen das Geburtstagskind nicht in den Blütetagen seines Lebens oder gar auf dem Höhepunkt seiner Strahlkraft. Die aufregenden Zeiten, in denen z.B. John Zorn mit einem rücksichtslosen Monsterlärm den Menschen im völlig ausverkauften Saal Schmerzen zufügen wollte und konnte, sind nämlich vorbei – eine positive Entwicklung für die Hörer, die dann ja auch letztlich irgendwann lieber zu Hause blieben.
Der Stadtgarten hat diese natürlich spannungsgeladene experimentelle Phase hinter sich gelassen, er gedieh zum souveränen Konzertbetrieb. Sein künstlerischer Vordenker und Lenker Reiner Michalke, dessen Name auch heute als erster im Vorstand aufgeführt wird, hat mittlerweile jüngere Adoptivkinder zu betreuen. Sein Festival in Moers wurde gerade fünf Jahre alt, dafür wird viel gereist, viel gehört, viel besucht. Dabei könnte auch für den Stadtgarten einiges abfallen. Aber der Etat dieser Bühne scheint sehr übersichtlich zu sein – obwohl es sich beim Stadtgarten sogar um ein indirekt subventioniertes Objekt handelt: Mögliche Gewinne aus der Gastronomie sollten einst eigentlich auch das Programm finanziell stützen können.
In jedem Falle stellen diese Initiative und seine zehn Tage vor der Kölner Philharmonie eröffnete Konzertstätte einen unschätzbaren Gewinn für die Musiker in der Welt dar, und Jazzstars mit Avantgarde-Ambitionen wie Ornette Coleman, Wayne Shorter, Lester Bowie, Carla Bley oder Gil Evans waren hier weit ab von großen Festival-Events wirklich ohrnah zu erleben. Entsprechend feiern diesen Geburtstag in einem Konzert neue und alte Stars gemeinsam, beinahe familiär: Pianist Pablo Held wird heuer gerade mal so alt wie das Haus, Kollege Hans Lüdemann, doppelt so alt wie Pablo, erlebte diese pulsierende Initiative selbst als kreativer Musiker in der Domstadt mit, und Manfred Schoof, deutsche Freejazz-Legende, ist heute mit 75 Jahren ein Senior im Musikgeschäft. Dieses Generationen übergreifende Event am 4.9.2011 weist darauf hin, dass diese Initiative eine von Musikern für Musiker geschaffene Einrichtung geblieben ist, die neben einigen angesagten Spezialisten am Vorabend den amtlichen Jubeltag selbst mit den Heroen der eigenen Szene bespielt. Denn was der Stadtgarten an Außenwirkung für Europa auch immer bedeutet hat, er bot stets auch eine Basis für Kölner Musiker, die dem Experimentellen aufgeschlossen waren. Auch diese Einschränkung, eine unliebsame Ausgrenzung für Traditionalisten, hat sich in den letzten Jahren ausgewachsen – zur Freude der Musiker und des Publikums.
Duos mit u.a. Peter Evans, Jim Black, Julia Hülsmann, Michael Moore, Benoit Delbecq I 3.9. 21 Uhr I Stadtgarten Köln I 0221 952 99 40
Gruppen um Pablo Held, Hans Lüdemann und Manfred Schoof I 4.9. 19 Uhr I Stadtgarten Köln I 0221 952 99 40
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