Die Bühne lebt – und das liegt nicht nur an den Darstellern. Wie ein atmender Organismus ist die Spielfläche einem ständigen Wandel unterworfen. Mal bildet sie eine Landschaft mit Hügeln, mal einen Wald oder das Meer. Geformt werden die Kulissen von einer formatfüllenden Stoffplane, die mitunter schwerelos zu fließen scheint. Mal liegen die Darsteller darauf, wandeln darüber oder auch mal darunter her. Mittels zahlreicher Schnüre, einer geschickten Beleuchtung und kleiner Videoeinspieler wird die Plane zur Projektionsfläche eines bezaubernden Traumgeschehens. Regisseur Michael und Schulz, Bühnenbildnerin Kathrin-Susann Brose und Beleuchter Patrick Fuchs schaffen eine genial einfache und doch überaus wirkungsvolle optische Entsprechung für Benjamin Brittens Musik. Vor allem für jene der Elfen, die sich in ätherische Klangfarben aus schwirrenden Streichern, perlenden Harfen und weichen Celesta-Glocken getaucht auf der Bühne tummeln. Dieser Sommernachtstraum umfängt sein Publikum mit einer Atmosphäre, der es sich kaum entziehen kann.
Es mag kaum überraschen, dass Brittens Opern-Adaption von Shakespeares „A Midsummer Night‘s Dream“ in England zu seinen größten Publikumserfolgen zählt. Der Dreiakter von 1960 sprüht vor Charme und ist verglichen mit den tragischen Werken wie „Peter Grimes“ oder „Billy Budd“ auch musikalisch eingängiger. Das liegt zum einen am Klangzauber im Orchester, aber auch an den vielen Bezügen zu alter englischer Musik. Für beides hat die britische Dirigentin Julia Jones ein ausgesprochen gutes Händchen. Die kleine Besetzung klingt transparent und akkurat in den vielen kleinen Soli, entwickelt an den dramatischen Stellen aber auch dissonante Bissigkeit.
Unter den Solisten bilden Gäste und Ensemblemitglieder ein spielfreudiges Team mit schön zueinander passenden Stimmen. Countertenor Matthias Rexroth singt einen schlanken und beweglichen Oberon, Bele Krumberger eine klangschöne Tytania. Als eitle Hermia, die gern mit dem Selfie-Stick posiert, kann Anke Sieloff ihr komödiantisches Talent voll ausspielen und singt ihre Partie mit jugendlicher Frische. Alfia Kamalova als Helena und Michael Dahmen als Demetrius sind unter anderem in Kampfmontur zu erleben, wie sie vor Eifersucht ihre Krallen ausfahren. Dass die Regie so weit überdreht, ist eher die Ausnahme. Allerdings kostet Regisseur (und MiR-Chef) Schulz den deftigen Shakespeareschen Humor durchaus kräftig aus und setzt gelungene eigene Akzente. So bekommt Klaus Brantzen als Puck einen kurzen Prolog mit Lokalkolorit: „Homma“, sagt der närrische Elf im abgerissenen Parka und packt sich „annen Kopp“. Auch die übrigen Elfen, verkörpert vom Frauen- und Kinderchor, wirken eher schmuddelig (Kostüme: Renée Listerdal) als märchenhaft herausgeputzt. Sie sind Übriggebliebene aus längst vergangenen Zeiten.
„A Midsummer Night‘s Dream“ | R: Michael Schulz | So 10. 1. 18 Uhr, So 7.2. 18 Uhr | Musiktheater im Revier | 0209 409 72 00
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