Was ist Tanz? Was unterscheidet die Bewegung des Alltags von der auf der Bühne? In Zeiten, in denen das Ballett den Tanz beherrschte, war diese Frage leicht zu beantworten. Rafaële Giovanola, Choreografin der CocoonDance Company in Bonn, hat die klassische Ausbildung bei Marika Besobrasova in Monte Carlo genossen. Aber schon als sie zu William Forsythe nach Frankfurt wechselte, veränderte sich ihr Blick auf den Körper. Heute zeigt sie sich beeindruckt von den Bewegungen eines achtjährigen Kindes, das auf seine Weise tänzerische Herausforderungen löst. Die Bewegungen eines nicht ausgebildeten Körpers zu betrachten, vermittelt ihr immer wieder überraschende Momente der Schönheit. Und sie weiß aus Erfahrung, „wie emotional das Publikum auf solche Körper reagiert“.
„Früher dachten wir, tanzen heißt acht Stunden am Tag trainieren“, sagt sie. Aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen in der Junior Dance Company, weiß sie, dass es auch darauf ankommt, „Anregungen aus anderen Quellen zu nehmen“. So arbeitete sie mit Kindern und Flüchtlingen, beobachtet „den Instinkt für die Bewegung, die Besonderheit der Körper. Die Schönheit zu sehen, dass jemand tanzt wie ein Mensch und nicht wie ein Tänzer“, rührt sie. Auch formal verändert das ihre Arbeit: „Es kommt nicht immer darauf an, eine Geschichte zu erzählen, sondern sein Material zu finden. Sich zu öffnen für den Körper als komplettes Medium.“ Die Faszination des untrainierten Körpers in seiner Grazie und seiner natürlichen Trägheit, hat ihr jedoch nicht die Begeisterung für den professionellen Tanz genommen.
Der Körper spricht zu uns, er ist das Medium. Der Tanz hingegen stellt das Vokabular zur Verfügung, mit dem man das Publikum seinerseits in Bewegung versetzt. Professionelle Tänzer bestechen für Rafaële Giovanola durch Geschwindigkeit und extreme Virtuosität. „So entsteht eine hypnotische Wirkung. Man kann die Augen nicht von ihrem Körper lösen, eine Magie, die uns neugierig macht und gegen die wir uns nicht wehren können.“ Giovanola erinnert sich, dass sie in ihrer Produktion „Pieces of Me“ nur den Bewegungen des Hüftgelenks gefolgt ist, der Körper sollte das Kommando übernehmen. Das Ergebnis war ein Stück, das manche Betrachter als irritierend erotisch empfanden.
Publikum, das sind wir alle. Ein Thema, dass Rafaële Giovanola und Reinald Endraß in ihren Choreografien für CocoonDance seit Jahren beschäftigt und dem Publikum in NRW elektrisierende Produktionen bescherte. In „What About Orfeo?“ blicken die Zuschauer über Spiegelungen auf die Tänzer, in „No Body But Me“ schaut das Publikum aus der Perspektive einer Filmkamera auf die Akteure. Wenn die Männer und Frauen, die da tanzen, uns ganz nahe kommen, dann wird einem bewusst, dass wir nicht nur beiläufige Voyeure sind, sondern Voyeurismus unverzichtbar für die Tanzkunst ist. Wir werden mit einem Teil von uns konfrontiert. Giovanola gesteht, dass sie plötzlich einen anderen Blick auf die Pornografie gewann. „Der Körper führt uns irgendwo hin, wo wir normalerweise nicht hingehen würden“, erklärt sie. Tanz, das ist offenbar das Abenteuer sinnlicher Erkenntnis.
Nächste Produktion: CocoonDance: „Ghost Trio A – corps furtifs“ | R/Ch: Rafaële Giovanola | 15.(P), 16.9. 20.30 Uhr | World Conference Center Bonn | 0228 50 20 13 13
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