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Kommt schließlich auch in Moskau an: Jürgen Vogel als Siggi Meyer im „Hotel Lux“
Foto: Presse

„Meine Milchzähne waren noch einwandfrei“

26. Oktober 2011

Jürgen Vogel über „Hotel Lux“, seine Liebe zu Serien und seine Anfänge als Kindermodel – Roter Teppich 11/11

Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass Schauspielschulen nie sein Ding waren: Trotzdem oder gerade deswegen wurde der 1968 in Hamburg geborene Jürgen Vogel in den letzten Jahren zu einem großen Publikums- und Kritikerliebling. Sein darstellerisches Talent kann man in so unterschiedlichen Werken wie „Die Welle“, „Der freie Wille“, „Das Leben ist eine Baustelle“ oder „Die kommenden Tage“ bewundern. Auch als Produzent („This is Love“) ist er erfolgreich. Nun kann man ihn neben Bully Herbig in Leander Haußmanns „Hotel Lux“ als Bühnenschauspieler auf der Leinwand erleben, der als Hitler-Parodist die Lacher auf seiner Seite hat.

choices: Herr Vogel, „Hotel Lux“ und der kürzlich gelaufene „Mein liebster Feind“ scheinen zu unterstreichen, dass es nun salonfähig geworden ist, in Deutschland Komödien über das Dritte Reich zu drehen.
Jürgen Vogel:
Es stimmt, das war lange Zeit verpönt. Aber ich glaube, dass Leander Haußmann einen ganz guten Ton getroffen hat. Er hat gesagt, dass das seine Art ist, mit Dingen fertig zu werden, die für ihn persönlich schlimm waren. Er ist ja in der DDR groß geworden, und da ist das für ihn als Künstler auch eine Art Schutzfunktion, als Mensch bei der Sache gut herauszukommen. Indem man das Ganze humoristisch angeht, ist das dann eine bestimmte Form des Blickes, die nicht ganz so schmerzvoll ist, aber trotzdem alles um einen herum wahrnimmt. Für Haußmann ist das ein Anfang, eine Form, Türen zu öffnen, den Menschen begreiflich zu machen, dass Stalin auch ein Diktator war, der grausame Sachen gemacht hat. Wenn man das so geschickt macht, wie es mit der Figur Zeisigs auch funktioniert, dann ist diese Vorgehensweise meiner Meinung nach durchaus legitim. Für mich ist der Film auch keine reine Komödie, für mich ist er eher ein komödiantischer Abenteuerfilm, dem es gelingt, auch jüngere Zuschauer anzusprechen. Da hat sich durch Leanders Herangehensweise, historische Figuren durch Einblendungen vorzustellen, eine Riesenchance ergeben, auch die Jüngeren zu erreichen. Wir wollen, dass auch Zuschauer ab 12 Jahren den Film verstehen, aber die haben in der Schule die Themen DDR und Drittes Reich noch überhaupt nicht behandelt! Mir gefällt auch das dazu eingesetzte Stilmittel, das eine Weiterentwicklung mir bekannter Formen darstellt und junge Zuschauer nicht auf eine pädagogische oder lehrbuchhafte Weise erreicht.

Themen wie Kommunismus und das Aufkommen der DDR lagen Leander Haußmann, der in der DDR aufgewachsen ist, sicherlich näher als Ihnen…
Deswegen finde ich es auch als Schauspieler toll, solch einen Film zu machen. Ich sag jetzt mal etwas Blödes: Schauspieler sind in der Regel dumm, weil sie es auch manchmal sein müssen. Denn es gibt so einen Satz: Die Psychoanalyse ist der Tod der Kunst. Wir Schauspieler dürfen nicht zu viel wissen. Rollen in einem Film wissen manchmal auch nicht, wo die Geschichte endet und wie sie ausgeht. Wir bewegen uns in einem Raum, in einem Zimmer, das wir nicht kennen. Das ist unsere Aufgabe, und zuviel zu wissen, ist dabei schlimm. Das Tolle an der Arbeit mit Leander Haußmann ist, dass er durch sein Großwerden in der DDR und die Filme, die er gemacht hat, eine ganz bestimmte Art hat, wie er das, was er erlebt hat, verarbeitet. Man profitiert dann als Schauspieler natürlich auch vom Wissen des Regisseurs.

Würden Sie sich selbst denn auch als politischen Menschen bezeichnen?
Ja, aber anders. Meine Art der Politik, die ich mache, hat viel mehr mit den Rollen zu tun, die ich spiele. Was für ein Bild ich vermittle, was Randfiguren der Gesellschaft angeht. Das ist meine politische Haltung zu Menschen. Und die Erkenntnis, dass es keine Monster gibt, sondern nur Menschen, die aber zu allem fähig sind. Grausames zu tun scheint zum Menschsein irgendwie dazuzugehören. Das ist die einzige Form von Politik, die ich für meinen Job gerechtfertigt finde.

Das transportieren Sie auf ganz unterschiedliche Weise, denn Sie pendeln sehr stark zwischen anspruchsvollen und unterhaltsamen Filmen…
Ich finde das für mich als Mensch auch ganz wichtig. Ich möchte nicht nur der „Anspruchsschauspieler“ sein, ich mag auch diese Schubladen nicht. Ich finde Tabubrüche gut und wichtig, deswegen habe ich damals auch die Rolle in „Schillerstraße“ angenommen, weil ich so etwas auch für mich mache. Ich bin 43 Jahre alt und ich mache die Schauspielerei jetzt seit 27 Jahren! Da will ich auch immer wieder Neues entdecken, ich habe keine Berührungsängste, gehe gerne Risiken ein, weil ich finde, dass das auch irgendwie dazugehört. Das sind Erfahrungen für mich als Mensch und als Künstler, die mich weiterbringen – wobei ich mich gar nicht als Künstler verstehe, sondern eher als Handwerker (lacht).

Bully haben Sie durch die Castingshow für den ersten Wickie-Film kennen gelernt, es war also eher Zufall?
Eigentlich haben wir uns zuvor bei einem Screening von „Die Welle“ bei der Constantin-Film kennen gelernt. Das war für mich die erste Möglichkeit, den Film im fertigen Schnitt zu sehen, bevor wir damals die Pressearbeit zum Film begonnen haben. Zu dieser Vorführung war auch Bully eingeladen. Ich mochte ihn und seine Arbeit vorher schon, und an diesem Tag hat er mir gesagt, dass er irgendwo gelesen hat, dass ich am 29. April 1968 geboren bin – genau am gleichen Tag wie er! Und dann begann so etwas wie eine Liebesbeziehung (lacht), ich hab mich sofort in den Typen verknallt, und ich mag ihn unheimlich gern. Wir sind beide unterschiedlich und gleich. Wir machen natürlich völlig verschiedene Sachen, aber manche Wege führen uns dann zusammen. In der Castingshow haben wir uns dann besser kennen gelernt, das war eine tolle Zeit. Auch da hatte ich keine Berührungsängste.

Da lag es dann nahe, dass Sie im ersten Wickie-Film auch eine Rolle übernommen haben…
Das wollte ich vor allen Dingen auch! Bully hatte mich gefragt, auch ob ich das bei zwei bis vier Drehtagen denn machen würde. Da sagte ich ihm ganz schnell zu, weil ich die Leute auch sehen wollte, die ich in der Sendung mitgecastet hatte. Das hat total Spaß gemacht, die dann nach dem Casting auch bis ans Filmset noch zu begleiten.

Til Schweiger ist derzeit im Gespräch als neuer „Tatort“-Kommissar. Wäre das für Sie eventuell auch einmal eine Option?
Ich habe überhaupt nichts gegen „Tatort“, ich habe auch schon in einigen mitgespielt. Ich finde, die Reihe ist qualitativ eines der Highlights, die wir im deutschen Fernsehen so produzieren. Das ist immer eine Frage des Konzepts, welche Figur ich da spielen würde. Wenn ich das machen sollte, würde ich dabei auch gerne weiter gehen als das, was ich da bisher so gesehen habe. Insofern muss man mal abwarten, wie sich das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickelt. Aber es ist für mich kein No-Go, sondern etwas, das mich schon interessiert, wenn es gut ist.

Also hätten Sie auch keine Berührungsängste, mit einer Figur in Serie zu gehen?
Nein, ich liebe Serien! „Tatort“ bezeichne ich jetzt mal als Reihe, weil man nur so drei Episoden pro Jahr macht. Aber wenn es ein tolles Serienangebot gäbe, wäre ich da gerne dabei. Ich bin großer Fan von vielen amerikanischen Serien, die ich gesehen habe. Von „Californication“ bis „Breaking Bad“, von „Dexter“ über „The Wire“ bis „The Shield“. Es gibt ganz tolle Serien mit großartigen Schauspielerleistungen, tollen Ideen, tollen Autoren. Da gibt es von meiner Seite keinerlei Berührungsängste, wenn es gut ist, kann man das auf jeden Fall machen.

Also gibt es bei Ihnen auch eine Sehnsucht nach Hollywood, wie bei den Figuren in „Hotel Lux“?
Nein, gar nicht. Die Serien, die ich genannt habe, laufen in den USA ja größtenteils auf dem Pay-TV-Sender „Showtime“, das ist nicht wirklich Hollywood, und wenn, dann nur auf eine ganz mutige Art! Beispiel „Californication“: Wenn man hier zu einem Redakteur geht und dem eine Serie über eine Hauptfigur vorschlägt, die ein sex- und drogensüchtiger Autor ist, auch noch extrem abgefuckt, dann möchte ich mal sehen, wie das ankommt. Hollywood steht bei uns ja nach wie vor noch für Glanz und Glamour. Diese Serien sind zwar in Amerika produziert, aber sie sind innovativ und sehr mutig, gehen auch in der Dramaturgie sehr weit. Da sind wir hier in Deutschland noch nicht angekommen. Wenn das mal der Fall ist, bin ich da auch gerne dabei (lacht). Den Traum Hollywood habe ich nicht. Es gibt für mich aber auch kein tolles Vorbild dort an deutschen Schauspielern. Es fängt jetzt gerade erst wieder an, dass sich Amerika ein wenig öffnet, dank Tarantino. Der hat das mal nicht so gemacht, wie es sonst die Amerikaner immer machen, die uns auf Komparsenrollen reduzieren, sondern der wirklich einem deutschsprachigen Schauspieler eine Chance gibt; der grandiose Rollen für deutsche Schauspieler schreibt, die dann auch grandios gespielt werden. Das ist jetzt der Anfang, so etwas finde ich gut. Wenn die Amerikaner herkommen, sich wirklich für uns interessieren und uns auch wirklich tolle Rollen geben, dann habe ich da gar nichts dagegen. Aber ich mag Gastauftritte nicht, die nötig werden, weil in der Produktion noch ein bisschen deutsches Geld drinsteckt.

Gibt es auch wieder ein neues eigenproduziertes Projekt von Ihnen?
Ich habe gerade wieder einen Film mitproduziert, bei dem ich auch mitgespielt habe, der sich jetzt in der Endfertigung befindet: „Gnade“ heißt der. Der Film spielt in Norwegen, mit Birgit Minichmayr, die eine hervorragende Schauspielerin ist. Wir versuchen, den nun fertig zu stellen und dann auf einem Festival zum Einsatz zu bringen.

Wie sind Sie damals an Ihre erste Schauspielrolle gekommen?
Ich hatte für einen Katalog Kindermodenfotos gemacht. Damals hatte ich noch tolle Zähne, also die Milchzähne waren noch einwandfrei. Als Kindermodel war ich bei einer Agentur, die sich dann vergrößert hat und später auch für Werbung und Film vermittelt hat. Mit fünfzehn Jahren war ich dann bei einem Casting und bin auch für die Rolle genommen worden. Das war also eher ein Zufall. Wenn das damals mit dem Casting nicht geklappt hätte, weiß ich gar nicht, ob ich Schauspieler geworden wäre. Das war 1984, der Kinofilm „Kinder aus Stein“ von Volker Maria Arend, mit Natja Brunckhorst, die bekannt war aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, und mit Uwe Fellensiek und Claude-Oliver Rudolph. Wenn man den heute sieht, dann versteht man auch nicht, warum ich Schauspieler geworden bin. Ich selbst finde, dass ich darin furchtbar schlecht gespielt habe… Kurz danach kam dann „Bas-Boris Bode“, eine zwölfteilige Serie fürs ZDF. Harry Baer hat da Regie geführt, ein sehr netter Kerl, der früher künstlerischer Berater bei Fassbinder gewesen war. Bei so etwas lernt man dann sein Handwerk.

Gab es denn bei Ihnen immer schon den Drang ins Scheinwerferlicht, haben Sie als Kindermodel freiwillig angefangen?
Na ja, das war natürlich auch nicht so richtig freiwillig. Ich hatte eine Freundin, die war neun, ich war zehn Jahre alt, und deren Mutter war Fotografin. Das Mädchen hat schon gemodelt, und die Mutter hatte Fotos von mir gemacht und diese eingeschickt, ohne dass ich das wusste. Die haben mich dann zum Casting eingeladen, weil die fanden, dass ich irgendwie ganz süß aussah. Wie ein Mädchen sah ich damals aus. Das war schon ein Zufall, dass ich damals da hineingerutscht bin. Meine Eltern hatten nicht viel Kohle, und ich hab damit wahnsinnig viel Taschengeld verdient, das durfte ich auch alles behalten, wofür ich heute noch dankbar bin, denn das ist ja keinesfalls selbstverständlich.

Haben Sie es je bereut, keine professionelle Schauspielausbildung gemacht zu haben?
Nein, ich war ja dann mal für einen Tag auf der Schauspielschule, weil mich alle überredet haben. Da habe ich dann aber direkt gemerkt, dass das für mich auf keinen Fall funktioniert. Ich wollte nie Theater spielen, heute gibt es ja auch andere Schauspielschulen, bei denen man sich eher für Filmschauspiel ausbilden lassen kann. Da weiß ich aber zu wenig darüber, ob das wirklich funktioniert. Während meiner Anfänge ist man auf die Schauspielschule gegangen, um Theater zu spielen, und Theater hat mich nie interessiert. Ich wollte immer Filmschauspieler werden und da hatte ich das Glück, dass ich schon ziemlich früh immer ziemlich viel gemacht habe, und durch die Arbeit lernt man am meisten.

Fällt es Ihnen im Nachhinein schwer, sich selbst auf der Leinwand anzuschauen?
Einmal anschauen kann ich mich immer, weil ich dann den Film beurteilen kann. Mich selbst zu beurteilen ist für mich ganz schwierig. Man kann sich irgendwann selbst nicht mehr sehen. Das ist ähnlich wie beim Modeln. Wenn du immer Fotos von dir selbst siehst, hast du irgendwann kein Verhältnis mehr dazu und vertraust eher auf dein Bauchgefühl. Ich kann meine Arbeit ganz gut einschätzen, aber nicht mich selbst, da verlasse ich mich eher auf das Urteil von anderen.

INTERVIEW: Frank Brenner

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