Als Stanley Kubrick in seinem Filmklassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ das Erscheinen des glatten schwarzen Steins mit Musik unterlegen wollte, griff er auf das Orchesterwerk „Atmosphères“ (1961) des ungarischen Komponisten György Ligeti zurück. Damit verhalf er einer Musik zu einer Breitenwirkung, die ihr Erfinder Ligeti nicht angestrebt hatte – dieses Werk wurde ein Klassiker der Avantgardemusik, die Stilistik wurde als „Weltraum-Musik“ charakterisiert.
Ebenso spektakulär ist seine Komposition „Lux aeterna“ für 16-stimmigen A-cappella-Chor (1966), heute fester Bestandteil des Repertoires eines anspruchsvollen Chores. Das Faszinosum war der neue Ansatz Ligetis. „Ich versuchte, das strukturelle kompositorische Denken, das das motivisch-thematische ablöste, zu überwinden und dadurch eine neue Formvorstellung zu verwirklichen.“ (Ligeti imProgrammheft Donaueschinger Musiktage 1961)
Dies gilt auch für das Orchesterwerk „Lontano“, das jetzt das WDR Sinfonieorchester in seinem „Ligeti-Experiment“ aufführt. Lontano heißt im Italienischen „entfernt“ und es geht in diesem Werk um räumliche Perspektiven. Die durch die Kompositionsstruktur intendierte „imaginäre Perspektive“ aus simultanen, sich in verschiedenen Geschwindigkeiten abspulenden, einander überlagernden harmonischen Verläufen beschrieb der Komponist: Die „Räumlichkeit“ dieser Musik entfalte sich dem Zuhörer „allmählich, wie wenn man aus grellem Sonnenlicht in ein dunkles Zimmer tritt und die Farben und Konturen erst nach und nach wahrnimmt“. (György Ligeti, Ges. Schriften, Mainz 2007)
Ligeti, 1923 im heutigen Rumänien geboren, entging wegen seiner jüdischen Herkunft nur knapp dem Tode im Zweiten Weltkrieg. Aus politischen Gründen verließ er Budapest 1956, arbeitete 1957 im Studio für Elektronische Musik in Köln, lernte hier die Avantgarde rund um Karlheinz Stockhausen kennen und war von 1973-89 Professor für Komposition an der Musikhochschule in Hamburg.
Aus Ligetis einzig abendfüllender Oper „Mysteries of the Macabre“ erklingen wilde Koloraturarien, an denen sich die temperamentvolle französisch-zypriotische Sopranistin Sarah Aristidou versucht – zeitgenössische Musik bedarf solch außergewöhnlich neugieriger Interpreten, die ihre Lust an neuem Terrain vermitteln können. In Köln laufen zusätzlich Videos, jemand malt in Sand – das klingt ganz schön schrill.
Das Ligeti-Experiment | Do 23.3. 19 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 280 280
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