Auf der Abbildung über dem Text ist eine Augenfarben-Tafel zu sehen, wie sie während der dreißiger Jahre von den Nationalsozialisten benutzt wurde. Über der Bestimmung der Augenfarbe und die Vermessung des Schädels wurde eine „Rassezugehörigkeit“ ermittelt. Solche „Gutachten“ entschieden dann über Leben und Tod der Betreffenden. Der italienische Populationsgenetiker Guido Barbujani rekonstruiert in seinem Buch „Die Erfindung der Rassen“ wie Europa seit dem 18. Jahrhundert geradezu wahnhaft von einer Idee der Rasse erfasst wurde, die dazu führte, dass man bis zu 200 Gattungen differenzierte.
Solche pseudowissenschaftlichen Erkenntnisse sickerten tief in das gesellschaftliche Gefüge Europas und Nordamerikas ein. Nachdem es 2006 erstmals gelungen war, ein menschliches Genom zu entschlüsseln, verkündete Bill Clinton noch auf der anschließenden Pressekonferenz, dass es unter Menschen keine Rassen gibt. Aber auch diese hinlänglich bewiesene Tatsache vermochte den Rassediskurs nicht zu stoppen. Gerade deshalb ist es umso nützlicher, mit Barbujanis elegant geschriebenem Sachbuch schlagende Argumente zur Hand zu haben. Der Italiener beschreibt, wie in unseren Tagen wissenschaftliche Erkenntnis über Genetik und Evolution religiös motivierter Kritik ausgesetzt ist. Das Buch lässt uns die Widersprüche der Gegenwart durch den Blick auf die Entwicklung der Rasse-Ideologie verständlich werden. Im Übrigen ist Barbujani der Meinung, dass nicht Biologie sondern Kultur Identität bildet.
Guido Barbujani: Die Erfindung der Rassen. Wissenschaft gegen Rassismus | Übers: Edmund Jacoby | Verlag Jacoby & Stuart | 288 S. | 22 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25