Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.585 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Foto (Ausschnitt): Nathan Dreessen

Zeiten(w)ende?

19. Juni 2024

„Gedichte für das Ende der Welt“ von Thomas Dahl – Lyrik 06/24

Die Apokalypse hat gerade Hochkonjunktur: Krisen, Kriege und Katastrophen wohin man schaut, Weltuntergangsstimmung als Lebensgefühl einer Generation, die sich in Teilen selbst(bewusst) als die letzte bezeichnet. In seinem Lyrikband „Gedichte für das Ende der Welt“ spürt Thomas Dahl dem Gefühl der Angst nach. Der Countdown läuft: „Neunhundert Sekunden / Bis zum Ende der Welt“, sagt eines der Gedichte vorher. Diese Galgenfrist wird allerdings weder genutzt, um den drohenden Untergang abzuwenden, noch, um sie mit Mitmenschlichkeit zu füllen, sondern, „um noch schnell ein paar Erfolge einzufahren / Konkurrenten auszuschalten / Andersdenkende zu schinden / neue Schandmale zu erschaffen / noch auf den allerletzten Runden / So viel Tod wie möglich aufzubahren.“

Dennoch ist die Lage nicht völlig aussichtslos, auch wenn noch nicht klar ist, was nach der „Stunde Null“ kommt. In dem Gedicht „In Love with Zero“ feiert der Autor die Null als Zahl der potenziell unbegrenzten Möglichkeiten: „Für Positiv-Gesinnte / Immer Raum nach oben / Mit 1A-Ausblick in den Abgrund.“ Unbegrenzte Möglichkeiten bietet für Thomas Dahl jedoch vor allem die Sprache. Gerade in der formalen Beschränkung auf Wörter mit dem gleichen Anfangsbuchstaben entfaltet er in dem Gedicht „Worte wie wir“ die Wirkmacht einer Sprache, die Berge versetzen könnte.

Laut der biblischen Genesis waren es angeblich Worte, die die Welt und alle Geschöpfe ins Leben riefen. Warum sollte dann ihr Untergang schweigend vonstattengehen? Thomas Dahl hat mit seinen 50 Gedichten keine lyrische Begleitmusik unserer ebenso krisengeschüttelten wie untergangsverliebten Gegenwart geschrieben, sondern ein intensives und manchmal schmerzhaftes Anschreien und Anflüstern gegen Grabesruhe und falsches Schweigen, ein Plädoyer für das Wort, das Gewicht hat, weil es erschafft und vernichtet, segnet und verflucht. Doch wie sieht es nach der Apokalypse aus? Spricht dann noch jemand in die Totenstille hinein – und welche Worte hätten die Kraft, nicht einfach denselben Teufelskreis von vorne beginnen zu lassen? Bei Thomas Dahl klingt das so: „Wer fegt dann die Reste fort? / Wer fügt sie an den neuen Anfang? / Wehe dem ersten / Und wehe auch dem letzten / Wort.“

Gedichte für das Ende der Welt | Twentysix Epic | 118 S. | 14 Euro

Priska Mielke

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Alltag mit Depressionen
Katty Salié liest im Thi-Time

Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24

Archäologie der Zukunft
Gespräch mit Friedrich von Borries in Köln

Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24

Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24

Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24

„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24

Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24

Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24

Wie geht Geld?
„Alles Money, oder was? – Von Aktien, Bitcoins und Zinsen“ von Christine Bortenlänger und Franz-Josef Leven – Vorlesung 09/24

Zerstörung eines Paradieses
„Wie ein wilder Gott“ von Gianfranco Calligarich – Literatur 09/24

Lektüre für alle Tage
Lydia Davis‘ Geschichtensammlung „Unsere Fremden“ – Textwelten 09/24

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!