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„Mutter“ v.l.: H. Coltello (Gitarre), F. Koerner (Drums), M. Müller (Gesang), M. Fröhlich (Bass) und T. Scheutzlich (Keyboard).
Foto: Presse

„Euch geht es doch viel zu gut“

16. November 2011

Im Interview mit Max Müller, Sänger der Berliner Band „Mutter“ – Musik in NRW 11/11

Ein Hotelzimmer in Bochum. Max Müller, Sänger und gemeinsam mit Drummer Florian Koerner von Gustorf Begründer der Band „Mutter“, ist seit 1982 im Musikgeschäft. Nach „Trinken Singen Schießen“ (2010) ist im Oktober das neue Album „Mein kleiner Krieg“ erschienen. Auf eigenem Label, natürlich. Denn die Berliner sind unabhängig, laut und haben selten was Gutes an der „Wohlstandspsychiatrie“ BRD auszulassen. choices traf Max Müller zu einem Gespräch über das neue Album, dessen Produktion und die Fallstricke der Musikindustrie.

choies: Herr Müller, was an „Mein kleiner Krieg“ zuerst auffällt, sind die unterschiedlichen Arrangements. Da ist z.B. das Stück „Von dem schönen Schein und dem dummen Sein“ mit seinem Keyboard-Synthie-Sound, und dann gibt es Lieder wie „Wie wir waren“ mit einem Akustik-Gitarren-Set und einer eingespielten Flöte, oder „Mein kleiner Krieg“, das von einem Piano begleitet wird. Wie kam es zu der Idee, so unterschiedliche Arrangements auf dem Album zu machen?
Max Müller:
Das war eigentlich gar keine Idee. Gerade die Stücke, die Sie angesprochen haben, sind eher nachträglich entstanden. „Mein Kleiner Krieg“ war eigentlich mit kompletter Instrumentierung. Erst im Nachhinein hat man gemerkt: Das funktioniert so nicht mit der Musik zusammen, und wir sagten „Lass uns alles rausschmeißen, wir machen das nur mit Piano, dadurch kriegt die Nummer einfach mehr Druck“. Dass es so unterschiedlich ist, zieht sich ja bei uns irgendwie durch, wie ein roter Faden. Ich lege keinen Wert darauf, ob es so oder so klingt, und die Instrumentierung ist mir auch egal. Ich denke einfach nur: Wenn es gut klingt, dann klingt es gut.

Vor dem vorletzten Album „Trinken Singen Schießen“ sind sechs Jahre vergangen, jetzt war es nur ein Jahr bis zu „Mein kleiner Krieg“. Woher dieser Rhythmuswechsel?
Die sechs Jahre kamen durch Umbesetzungen. Wir haben drei verschiedene Gitarristen gehabt, die dann wieder ausgestiegen sind. Und dann ist der Bassist gegangen, das war schon ein einschneidender Punkt. Wir mussten gucken, wie wir jetzt weiter machen und in welche Richtung es geht. Dann haben wir angefangen, zu dritt zu spielen, Aufnahmen gemacht. Jetzt haben wir uns in dieser Besetzung eingespielt. Ich sprühe vor Ideen, deswegen möchte ich so viel wie möglich machen. Wir sind schon wieder an neuen Sachen dran.

Eine Art ideale Besetzung?
Das wird sich zeigen. Das weiß man nie.

Die Gesangsart ist ja sehr eigen: Sie entwickelt einen eigenen Rhythmus und mündet manchmal in einer Art Sprechgesang. Erfordern das die Texte?
Nee. Mit vierzehn, fünfzehn hatte ich meine erste Punk-Band, und ich habe das schon immer so gemacht, diese eigene Art – dass Texte nicht immer ein Muster haben oder sich reimen müssen. Ich denke, das ist richtig. Ob es gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Ich kann es nur so und nicht anders.

Ist der Inhalt der Texte dabei antreibend?
Sicherlich spielt das immer eine Rolle. Aber es kann auch mal vorkommen, dass zu einem ganz ruhigen Stück ein ganz schlimmer Text kommt – und alles wird umgekehrt. Das fand ich immer gut, es macht mir Spaß, Sachen in einen anderen Zusammenhang zu bringen.

Wenn man Beschreibungen zur Musik von Mutter liest, dann fallen Wort wie „existentialistisch“ oder „misanthropisch“. Was sagen Sie selbst zu solchen Beschreibungen?
Ich freue mich immer, wenn wir irgendwo in der Zeitung stehen, und die Besprechungen sind ja meistens gut. Für mich bedeutet das erst mal: Da hat sich jemand die Mühe gemacht, unsere Musik zu hören und schreibt darüber, und er mag sie in irgendeiner Form. Wie er das beschreibt, das überlasse ich ihm, was soll ich dazu sagen … Jeder hört Musik ja anders und empfindet dann auch anders. Das soll die Musik ja auslösen. Wir wollen nicht sein wie eine Punk-Band, die so oder so verstanden werden möchte. Das setze ich nicht voraus, ich setze auch kein Wissen voraus. Es soll einfach nur das, was im Augenblick da ist, wahrgenommen werden, und du kannst damit eigentlich machen, was du willst. Du kannst auch Texte interpretieren, wie du willst.

Haben Sie sich schon mal missverstanden gefühlt?
Nicht, dass ich wüsste. Von wem?

Von der Öffentlichkeit.
Nee, also von der Öffentlichkeit überhaupt nicht. Im Gegenteil, die haben uns eigentlich eher immer bestätigt.

„Mein Kleiner Krieg“ wurde in der Toskana aufgenommen, in einem Haus, das ehemals ein Schweinestall war, in einer ländlichen Region.
Ja, es ist ein altes Bauernhaus, ein riesengroßes. Du fährst über eine Allee, und dann kommst du auf einen Berg und bist total für dich. Es gibt zwar Nachbarn, aber die sind total weit weg. Wir haben da vor fünf Jahren bereits eine Platte aufgenommen. Es ist herrlich dort, ich würde es immer wieder machen.

Also nur gute Erfahrungen gemacht?
Absolut. Weil dieser ganze Technik-Kram („du brauchst ein Studio, dann klingt das besser“) sich als totaler Schwachsinn erwiesen hat. Das Schlagzeug hat einen Wahnsinnsound, und der ist nur dadurch entstanden, dass im Raum nichts drin gewesen ist, keine Dämmung oder so was. So hat es einen ganz bestimmten Klang – was man im richtigen Studio nicht hinkriegt. Also, ich kann jedem nur empfehlen, rauszufahren, statt in irgendwelche dunklen, vermufften Studios zu gehen.

Zum Albumtitel „Mein kleiner Krieg“: Ist es so, dass man die großen, weltlichen Kriege nicht mehr wahrnimmt, weil man selbst so viele kleine Kriege mit sich ausfechten muss?
Ja, und weil es so viele gibt. Diese Selbstbezogenheit, schon im Kleinen. Das ist ein Riesenaufwand, und ich denke mir: „Euch geht es doch viel zu gut“, wie meine Mutter immer gesagt hat. Diesen Satz höre ich mich jetzt öfter sagen, wenn ich denke, die Leute leben im absoluten Luxus (im Verhältnis zu anderen). Doch in dem Augenblick, wo es Leuten so gut geht, fangen sie an, sich untereinander fertig zu machen und Probleme aufzubauen. Damit kann ich überhaupt nichts anfangen, das langweilt mich wahnsinnig. „Die Schule ist für mein Kind nicht gut genug“, oder „Das muss doch eine private sein!“, oder „Das muss eine noch bessere sein!“. Warum soll ich mich damit auseinandersetzen? Das sind hausgemachte Probleme.

Eben eine „Wohlstandspsychiatrie“ (Liedtitel auf dem Album „Trinken Singen Schießen, die Red.).
Absolut.

Begriffe, mit denen „Mutter“ in Verbindung gebracht werden, sind „Diskurspop“ oder „Hamburger Schule“. Was denkt „Mutter“ selbst darüber?
Ich denke, dass das totaler Schwachsinn ist, weil wir mit Hamburg nie irgendwas zu tun gehabt haben. In Berlin gab es in den Achtzigern ja mal die „Berliner Krankheit“, mit der hatte ich auch nichts mit zu tun. Wir haben uns da rausgehalten, wir sind auch nicht mit anderen Bands befreundet.

Bräuchte es mehr politische Rockmusik aus Ihrer Sicht?
Es gibt ja einige Sachen, aber ich würde mir wünschen, dass mal was Originelles kommt, etwas Radikaleres. Die Leute denken immer: „Das geht nicht“, während ich denke: „Wow! Das fehlte eigentlich“. Es gibt vieles, das ich gut finde. Aber ich sehe nichts, das alles rausreißt. Null. Mir persönlich ist es einfach zu langweilig. Bei dem, was provokant sein soll, denke ich mir: „Das gab es schon vor zwanzig Jahren, das haut mich nicht vom Hocker“. Ich merke nicht, dass da irgendwas nachkommt, das in sich radikal ist – egal, ob es politisch ist oder nicht. Ich glaube, es ist eine zufriedene Biedermeierzeit. Irgendwann haben ja viele Bands angefangen, auf Deutsch zu singen, als sie merkten: „Das geht ja gut, das läuft sogar besser als im Englischen!“ Aber sie haben gelernt, mit der deutschen Sprache so zu singen und es so geschmeidig zu machen, dass es wie Englisch klingt – ob das jetzt Xavier Naidoo ist oder was weiß ich. Sie haben es nicht geschafft, aus der Sprache heraus etwas Eigenes zu entwickeln.

Also nichts Gutes im deutschen Rockbereich?
Nee, gar nichts. Alles Schrott.

Da wären wir bei der ewigen Geschichte mit „Mutter“ und der Unabhängigkeit. Es ist ja das große Credo, alles „Do it yourself“-mäßig zu gestalten.
Nee, das ist ja Quatsch. Wir haben einen eigenen Toningenieur. Wir haben einen Fahrer, wir haben einen Manager. Aber natürlich machen wir viele Sachen auch selbst, weil ich es möchte. Wie eben die Cover: Wir haben einen Grafiker in der Band, ich kann auch zeichnen, und ich habe Ideen, wieso soll ich das also nicht selbst machen? Weswegen soll ich das abgeben?

Aber es gibt nie eine Labelbindung oder eine Institution der Musikindustrie.
Das entstand auch aus der Not heraus. Unter den Bedingungen, die wir angeboten bekamen, sagten wir: „Wir sehen kein Geld, wir verdienen nichts, das machen wir nicht mehr mit.“ Mit der letzten Platte haben wir jetzt zum ersten Mal Geld verdient, einfach deshalb, weil wir es in der Hand hatten. Und dadurch, dass ein Freund die ganze Labelarbeit übernommen hat. Zum ersten Mal haben wir dann gesehen: Es kommt Geld rein, und es kommt zu uns. Es landet nicht bei irgendwelchen Vertrieben, bei irgendwelchen Labels, bei denen es nie etwas gab, keinen Pfennig, keine Abrechnung. Wenn man nachgefragt hat, hieß es nur: „Es läuft ganz schlecht“. Heute sehe ich die Platten zu horrenden Preisen als Sammlerstücke, längst ausverkauft. Dann frage ich mich,wird man um die Alben betrogen? Das ist ja schrecklich. Und man sieht dazu kein Geld, da mache ich es doch lieber selber.

Aber den Wunsch, mit Musik Geld zu verdienen, gab es immer?
Sicher. Ich dachte, ich werde reich – und jetzt sitze ich hier in Bochum. Na, die Hotels sind ein wenig besser geworden.

Ein Mutter-Konzert ist …
Geil. Laut, im besten Fall. Ist aber oft abhängig vom Publikum. Es ist nicht motivierend, vor dreißig Leuten zu spielen. Wir spielen immer gut, egal, wie viele Leute da sind – aber es ist natürlich netter, wenn die Stimmung auch gut ist. Wir funktionieren da wie jede andere Band, wir sind Dienstleister, wir wollen unsere Sache ordentlich machen. Deswegen mache ich das ja auch. Ich mache es ja nicht, um reich zu werden – das kommt dann später … (lacht).

Fr. 18.11. 20 Uhr | Deutz-Mülheimer Strasse 127-129, Köln | Karten: www.gebaeude9.de

Interview: Dawid Kasprowicz

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