Stiefvater Otto Sander sprach es aus der Tiefe seines Grabes: „Mach's!" Und Meret Becker macht's. Ab 2015 wird sie Ermittlerin im „Tatort", dieser quotenstarken Edelserie, einst mit Qualität als Alleinstellungsmerkmal ein Fels in der reißenden Krimibrandung. Aufgrund grober Unachtsamkeit der Öffentlich-Rechtlichen könnte selbst dieses vermeintlich unerschütterliche Format gemeinsam mit dem neuen Volksopium Fußball und der Heilsbringerin Helene Fischer durch die unerträgliche Dichte der Sendefrequenz sich selbst erledigen – daran glaubt nur der Osterhase, und der ist aktuell von gestern.
Die Gesellschaft teilt sich bereits in „Tatort"-Gucker, die sich sogar in rauch- und gesprächsfreien Zonen zum Public-„Tatort"-Viewing treffen, und „Tatort"-Nichtgucker. Letztere könnten an einem Sonntagabend im Mai in Essen Meret Becker im Kreise des Dirk Raulf Orchestra bei einem ihrer Ausflüge in den Bereich der Hochkultur und des Experimentellen begleiten. Neben ihren Stimmbändern streicht sie eine singende Säge – ein lyrisch-romantischer Höhepunkt dieser Suite – zur „Musik für eine Flussreise, für einen nie gesehenen Film". „60 Minuten. Flussabwärts" heißt diese Komposition des in Köln lebenden Musikers Dirk Raulf, der zu Beginn seiner Laufbahn in den Neunzigern als Saxophonist in verschiedenen hochkarätig improvisierenden Ensembles aktiv war. Schon damals dachte der junge Mann viel nach und stellte sich viele Fragen, die sich wohl rein musikalisch nicht klären ließen. Raulf fand seinen Platz als Theater- und Filmmusiker, mehr Komponist als Instrumentalist. Und er blieb den sogenannten „schrägen" Sachen immer verbunden, was ihn unweigerlich in multimediale und multistilistische Bereiche führte – auf seiner Flussreise trifft ein schrill besetztes Orchester auf elektronische Klänge und programmierte Rhythmen, auf Texte, Musiken und bewegte Bilder aus verschiedenen Zeiten. Diese verschworenen Musici unternehmen eine kleine Tournee mit diesem Programm, und man kann und sollte sich vorher im Netz einige eingestellte Kostproben dieses ausgetüftelten Experiments angedeihen lassen – es ist nicht Partytime.
In einer zweiten Hälfte kommt dann die auf populäre Songs zurückgreifende Band Deep Schrott zum Einsatz. Hier hat Dirk Raulf mit drei Kollegen von der holzblasenden Zunft ein Quartett aus vier Basssaxophonen versammelt, das sind Tieftöner der Saxophonfamilie, denen man in freier Wildbahn kaum begegnet. Die Herren verweisen stolz darauf, die einzige derart besetzte Band des Universums zu sein. Raulf und Wollie Kaiser, einer der Schrott-Bläser, kennen sich aus gemeinsamen Jahren bei der legendären Kölner Saxophon Mafia, und sie wissen daher sehr genau, wie ein Saxsatz zu klingen hat. Die Könner an den mächtigen Rohren bringen u.a. Klassiker wie „Stairway to Heaven" mit einem sehr eigenen Sound zu Gehör; es war immer schon amüsant und erhebend, Elefanten Pirouetten drehen zu sehen.
Dirk Raulf Orchestra feat.Meret Becker – „60 Minuten. Flussabwärts"
Bonn, Landesmuseum | 6.5. 20.00 Uhr
Duisburg, Grammatikoff | 7.5. 19.30 Uhr
Köln, Kulturkirche | 8.5. 20.00 Uhr
Bergneustadt, Krawinkelsaal | 9.5. 20.00 Uhr
Essen, Zeche Carl | 10.5. 20.00 Uhr
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