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Wird auch zum Punk: Albert Dupontel in „Der Tag wird kommen“.
Alamode Film

„Ein guter Schauspieler sollte unreif sein“

25. April 2013

Albert Dupontel über „Der Tag wird kommen“, seine Monty-Python-Freunde und seine Realitätsflüchte – Roter Teppich 05/13

Der 1964 geborene Albert Dupontel hat seit Ende der 80er Jahre in rund 40 Filmen mitgewirkt. Neben Auftritten in Kritiker- und Publikumserfolgen wie „Irreversibel", „Mathilde – Eine große Liebe“, „Odette Toulemonde“ oder „So ist Paris“ hat Dupontel auch schon vier Filme als Regisseur inszeniert, die allerdings bislang in Deutschland nicht ausgewertet wurden. An der Seite von Benoît Poelvoorde spielt er nun in der schrägen Sozialsatire „Der Tag wird kommen“ im Kino.

choices: Monsieur Dupontel, Sie haben mit Gustave Kervern und Benoît Delépine hier bereits zum dritten Mal zusammengearbeitet. Wie ist es, für zwei Regisseure gleichzeitig zu arbeiten?
Albert Dupontel: Da fällt mir sehr spontan direkt der Begriff „große Freiheit“ ein. Man hat eine unglaubliche Freiheit, wenn man mit den beiden arbeitet, und kommt sich auf dem Filmset richtig nützlich vor. Man fühlt sich legitimiert und wichtig, man muss dabei genauso kreativ sein wie die beiden, aber kann sich als Künstler auch komplett frei dabei fühlen.

Hatten Sie also Einfluss auf die Dialoge und konnten mit eigenen Ideen bei den Dreharbeiten ankommen?
Das kam immer auf die Situation an. Manchmal musste man die Dialoge genau so akzeptieren, wie sie im Drehbuch standen, weil sie perfekt konzipiert waren. Aber in den meisten Fällen sagten einem die beiden, dass man doch bitte improvisieren solle, weil ihnen das besser gefällt. Das war zum Beispiel auch bei der Szene zu Beginn der Fall, als Benoît [Poelvoorde; die Red.] und ich die Unterhaltung mit unserem Filmvater führen. Diese zwei- oder dreiminütige Sequenz war komplett improvisiert. Es standen zwar Dialoge im Drehbuch, aber die Regisseure meinten, wir sollten einfach sagen, was uns gefiel. Wir sollten einfach zusammen quasseln, aber dabei nicht auf den jeweils anderen hören.

Wie sind Sie überhaupt zu dem Projekt hinzugekommen – wissen Sie, ob die Rolle extra für Sie geschrieben worden war?
Ich denke schon. Ich kenne die beiden nun seit zwölf Jahren und habe kleinere Parts in ihren Filmen „Avida“ und „Louise Hires a Contract Killer“ übernommen gehabt. Für diesen Film haben sie mich vor einem Jahr angerufen und mich gebeten, für den Sommer keine Verträge zu unterschreiben, weil sie für mich und Benoît etwas geplant hätten. Das war schon sehr bequem, ich musste nur noch auf das Drehbuch warten. Im Mai habe ich es dann bekommen und habe auch direkt zugesagt, weil das Drehbuch so fantastisch war.

Jean-Pierre und NOT werden im Film als große Kinder bezeichnet, die nicht erwachsen werden können. Was ist Ihre kindliche Seite?
Ich glaube, dass ein guter Schauspieler unreif sein sollte, er muss immer ein Kind bleiben. Deswegen lieben wir Schauspieler, weil sie die Kinder sein dürfen, die wir nicht mehr sind. Für die Familie und den Freundeskreis kann das auch mal peinlich werden, aber auf der Bühne oder vor der Kamera ist es perfekt, weil ein Schauspieler auch mit vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren noch spielt, wie er es als fünfjähriges Kind getan hat. Einige sind sehr gute Schauspieler, weil sie sehr gute Spieler sind und sich sehr gut an die Zeit erinnern können, als sie noch ein Kind waren. Für mich ist das die Essenz der Schauspielerei. Manchmal, wenn ich nicht gerade einen Film als Regisseur drehe, versuche ich, wieder ein Kind zu sein und mit den anderen Darstellern zu spielen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Benoît Poelvoorde?
Benoît ist genauso gefährlich, wie auch ich sein kann. Jeder meinte im Vorfeld, da könne es bei den Dreharbeiten zu Komplikationen kommen. Aber so war es nicht, sondern im Gegenteil: Es war fantastisch. Er ist ein faszinierender Schauspieler. Es machte sowohl vor der Kamera als auch im Privaten unglaublich viel Spaß. Ich erinnere mich an einen Moment, in dem wir nicht drehten und er mit einer Puppe spielte. Wir beide alleine auf dem Parkplatz lachten so laut, dass die anderen die Dreharbeiten, die einige hundert Meter entfernt stattfanden, abbrechen mussten. Benoît und ich wurden hier sehr bewusst als Team eingesetzt, weil die beiden Regisseure Wert auf unser ganz eigenes Gespür, unseren ganz eigenen Humor und unser Talent fürs Improvisieren gelegt hatten. Das ist sehr schmeichelnd und ermutigend, wenn Regisseure so nachdrücklich und begeistert nach einem bestimmten Schauspieler suchen.

Auf der Theaterbühne hatten Sie schon Partner, sind aber auch in One-Man-Shows aufgetreten. Was liegt Ihnen mehr?
Ich habe eigentlich nur ein einziges Mal eine One-Man-Show gemacht, vor zwanzig Jahren, danach nicht noch einmal. Damals war ich 25 Jahre alt und wollte unbedingt zum Film. Das ganze Geld, das ich mit meiner One-Man-Show verdiente, steckte ich in meinen ersten Kurzfilm, den ich als Regisseur drehte. Ich habe fünf Filme als Regisseur gedreht.

In einem dieser Filme, „Enfermés dehors“, haben zwei der Monty-Python-Mitglieder Kurzauftritte. Wie ist es dazu gekommen?
Mein erster Langfilm, „Bernie“, wurde auch in Großbritannien aufgeführt. Danach erhielt ich zwei Briefe von Terry Jones, in denen er mir mitteilte, dass er mich sehr gerne treffen würde. Und das taten wir dann auch, worüber ich überglücklich war – das war für mich, als ob ich John Lennon oder Paul McCartney treffen dürfte! Dann bat ich ihn, in meinem zweiten Film „Le créateur“ aufzutreten. Terry Jones kam zur Premierenveranstaltung in London und erzählte mir, dass er einen Freund mitbringen würde. Dieser Freund war Terry Gilliam, was mich sehr beeindruckte. Die Premiere hätte für mich eigentlich ein Vergnügen werden sollen, aber es war eher mit einer Abschlussprüfung vergleichbar. Ich stand die ganze Zeit neben dem Vorführraum und versuchte zu hören, ob Gilliam auch lachte, denn er hat ein sehr charakteristisches Lachen. Nach der Projektion standen wir beide für zwei oder drei Stunden auf dem Gehweg vor der französischen Botschaft in London und haben uns miteinander unterhalten. Er ist sehr neugierig auf andere Menschen, und ich wollte alles Mögliche über ihn und seine Filme wie „Brazil“ wissen. Wir blieben miteinander in Kontakt. Nachdem er „Bernie“ gesehen hatte, bekam ich eine Email von ihm, die ich in meinem Büro an die Wand hängte, weil sie so fantastisch ist. Danach blieben wir immer in Kontakt, trafen uns mal in London, mal in Paris und sprachen dabei immer über Filme. Dann bat ich ihn, zusammen mit Terry Jones ein kleines Cameo in einem meiner Filme zu übernehmen, was er gerne tat. Und er ist auch in meinem neuesten Projekt wieder mit dabei, einem Film, der im Oktober oder November in die Kinos kommen wird. Dort hat er ein Cameo zusammen mit dem Drummer Ray Cooper, der für Gilliams Filme oft die Musik komponiert. Das war schon sehr lustig. Einer der beiden spielt den berühmten Kannibalen Charles Meatson. Jones und Gilliam sind sehr wichtige Menschen in meinem Leben, weil sie genau das machten, was ich auch immer machen wollte. Natürlich nicht genau dasselbe, aber ich mag ihren Geist und die Freiheit, die sie sich nehmen. Ihr Blick auf die Welt und die Menschen ist genau so, wie ich selbst ihn auch empfinde.

Ich hoffe, dass der Film auch einen deutschen Verleih finden wird – er heißt „Neuf mois ferme“, richtig?
Genau. Er handelt von einer Frau, die schwanger wird und nicht weiß, wer der Vater ist. Sie kann sich noch nicht einmal mehr daran erinnern, was passiert ist. Das ist sehr peinlich für sie, weil sie eine sehr bekannte Richterin ist – ein Ideal der Gerechtigkeit. Dann nutzt sie ihre beruflichen Möglichkeiten, um Nachforschungen über sich selbst anzustellen, ohne es jemandem zu sagen. Sie ist sehr besorgt, zumal die Nachforschungen ergeben, dass sie von einem vermeintlich gefährlichen Kriminellen schwanger ist, der in Haft sitzt. So beginnt die Geschichte...

Ihre Eltern waren beide Mediziner und sie selbst haben zunächst ebenfalls Medizin studiert. Könnten Sie sich vorstellen, auch als Doktor zu arbeiten?
Warum nicht. Ich habe sechs Semester studiert, das ist schon recht lange. Aber schließlich bin ich vom Krankenhaus gefeuert worden, weil ich oft fehlte und viel lieber ins Kino ging. Ich war damals noch sehr jung, so 21 oder 22 Jahre alt, und habe über sehr vieles nachgedacht. Ich sah Menschen, die in die Notaufnahme eingeliefert wurden, schwer verletzt oder sogar sterbend, und konnte zwischen ihnen und mir keinen rechten Unterschied erkennen. Ich wurde also gefeuert und ging ins Kino, weil ich so oft es ging der Realität entfliehen wollte. Als ich das erste Mal auf der Bühne stand, erkannte ich, dass mir diese virtuelle Welt, diese Welt der Imagination, sehr liegt. Es ist einfach wunderbar, denn ich hasse die Realität. Ich weiß, dass die Realität am Ende gewinnen wird. Ich weiß, dass ich einmal sterben werde und als Asche wieder zur Erde zurückkehre. Aber bis dahin genieße ich es, zu spielen und verrückte Dinge zu tun. Dieser Augenblick war für mich sehr wichtig: logisch betrachtet war es für meine Zukunft als Arzt eine sehr unreife Entscheidung, aber philosophisch betrachtet war sie sehr vernünftig.

Aber ich vermute, dass Ihre Eltern mittlerweile sehr stolz auf Sie sind und es nicht mehr bedauern, dass Sie nicht in ihre Fußstapfen getreten sind?
Mein Vater war sehr erbost, als er mich das erste Mal im Fernsehen gesehen hat. Das hat ihn sehr aufgeregt. Er war enttäuscht, dass ich meine Medizinkarriere aufgegeben hatte, zugunsten der Albernheiten, die ich fürs Fernsehen tat. Für ihn war das eine Schande. Ich liebe meinen Vater sehr. Er kam aus einer schwierigen Familie und hat sehr hart gearbeitet, um dorthin zu kommen. Er hat mir und meiner Schwestern das Studium finanziert. Das hat ihn damals schwer getroffen. Aber ich bedauere meine Entscheidung nicht mehr.

Interview: Frank Brenner

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