Vor dreißig Jahren erschien ein Buch über eine „unerhörte“ Kunstgattung, das eigentlich in jedes Dramaturgenregal gehört: Damals widmete der inzwischen 91 Jahre alte Volker Klotz der Operette ein Standardwerk und ging erfolgreich daran, das aufsässige bürgerliche Lachtheater in seiner subversiven, absurden Qualität zu rehabilitieren.
In Wuppertal scheint man „den Klotz“ nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Wie wäre es sonst zu erklären, dass ausgerechnet Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ die neue Spielzeit zu eröffnen die Ehre hat? Die gab‘s erst 2011 im Tal – und seither sind die Operetten-Einsprengsel im Spielplan in Barmen wirklich nicht üppig gewesen. Zudem weht der Pulverdampf von Lehárs Dauerbrenner seit Jahren durch die Region, von Düsseldorf über Gelsenkirchen und Hagen bis Dortmund, wo es erst im Januar 2022 ein glamouröses Revival gab, in einer von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn auf der Basis alter Tonaufnahmen erstellten Rekonstruktion der „Jazz“-Version von 1928.
Was die Wuppertaler geritten hat, aus der Hundertschaft spielbarer Operetten wieder die „Witwe“ zu revitalisieren, bleibt schleierhaft. Man möchte den Spielplan-Machern weder die bequeme Lösung noch das Schielen auf die Kasse unterstellen; man möchte auch nicht annehmen, dass Wuppertals jung-prominenter Generalmusikdirektor Patrick Hahn einfach ein Stück dirigieren will, das ins internationale Portefeuille passt. Solche Entscheidungen machen das Musiktheater nicht eben interessanter – und tun dem ums Überleben kämpfenden Genre der Operette keinen Gefallen.
Also marschieren wir am 27. August los in die politischen Untiefen eines imaginären Kleinstaats namens Pontevedro, in die amourösen Flachwässer der Pariser Gesellschaft und in die unauslotbare Tiefsee des menschlichen Herzens. Durch ein Erbe schwerreich geworden, ist die titelgebende Witwe Hanna Glawari keineswegs eine „lustige“ Person. Eher melancholisch, desillusioniert, in Sachen Liebe entzaubert-realistisch. Kein Wunder: Als Mädchen durfte sie ihren Geliebten nicht heiraten, weil der Stand dazwischenstand. Der schwerreiche Bankier, der sie bekam, starb unverzüglich. Und danach war immer die Frage, wer anziehender ist: die Frau oder das Vermögen.
Die Librettisten Victor Léon und Leo Stein haben die Wirrungen und das Zusammenfinden zweier Herzen zum roten Faden der Handlung versponnen, aber drum herum jede Menge Zeittypisches und Zeitloses verwoben: Lebemänner, Bankrotteure, Halbwelt-Erscheinungen, alte eifersüchtige Habitués. Dazu den klassischen Komiker und eine Schar offenbar für alles bereiter Damen: „Ja wir sind die Grisetten von Pariser Cabaretten …“. Selbst wenn die „Lippen schweigen“ und nur noch die Geigen flüstern, wird „das Studium der Weiber“ nicht schwer – denn am Ende steht der Blick auf eine selbstbewusste Frau mit den Fäden in der Hand. Regisseur Christopher Alden ist es anvertraut, eine schlüssige Story zu erzählen, die vom Staub der Jahrzehnte befreit der Unterhaltung, dem Glamour und dem Tiefsinn eine Chance gibt.
Die lustige Witwe | 27.8., 4.9., 3.10., 14.10., 15.10., 23.10. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 7666
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