Keiner weiß besser, was es heißt, ein unabhängiges Blatt herauszugeben, als die Macher von engels, trailer und choices. Umso erfreulicher wirkt die Gratulation an ein Nischenblatt, das sich aus dem Nichts heraus zu einem marktführenden Produkt in Deutschland mausern konnte: „Jazzthing“ heißt das Magazin, das heute in einer Auflage von bis zu 30.000 Stück über die Improvisierte Musik und den Jazz informiert.
Treibender Motor dieses Einmann-Unternehmens war und ist der heutige Mittvierziger Axel Stinshoff, damals ein junger Mann also, der für ein Blatt, das den Jazz nicht auf akademische Kulturveranstaltungen reduzierte, sondern den Unterhaltungswert der Musik liebte, einen Markt ahnte. Trotz aller damals von Fachleuten gestellten miesen Prognosen für das riskante Projekt: Jetzt erschien zum 20. Jubiläum die 100. Ausgabe des Magazins und erstmals in diesem Verlag auch ein 1,5 kg schweres Buch über „American Jazz Heroes“ – mit 50 spannenden Portraits zum Jazz.
Letzteres resultiert aus einer Reihe, die über Jahre in dieser Zeitschrift gepflegt wurde. Genau darin liegt die Kraft dieser einzigartigen Veröffentlichung. Sie ist das gefilterte Konzentrat einer Entwicklung, aufgearbeitet, erweitert und mit Raum und Zeit luxuriös verarbeitet. Der Fotograf Arne Reimer ließ sich überreden, als schnelle Einsatztruppe bei seinen Besuchen nicht nur Fotos zu schießen, sondern auch einen Fragenkatalog auszubreiten und Atmosphärisches zu berichten. Nach einigem Zaudern ließ er sich zu dem Experiment überreden, und das Ergebnis fällt schlichtweg überzeugend aus: Der Zugang eines Fotografen zu seinen „Opfern“ gelang originell, die defensiv sensible Art eines guten Jazzfotografen entlockte den Portraitierten beinahe familiäre Schwätzchen.
Das ist aber genau die Art und Weise, wie man sich als Fan dieser schwer fassbaren Materie „Jazz“ aufschlussreich nähern kann. „Vom Pianisten Bill Evans stammt der Spruch ,Jazz is not a what, it is a how’. Das umschreibt vielleicht die Denke des Jazzmusikers“, meint Stinshoff, der auch die Schlussredaktion dieser ersten so komplexen Veröffentlichung im Alleingang bewältigte. Sprüche finden sich in diesem Portraitband genügend, sie entpuppen fasst immer die Jazzheroes als Hobbyphilosophen. So sagt Yusef Lateef, Jahrgang 1920, ganz unfehlbar über seine eigene Entwicklung: „Das Beste, was man werden kann, ist man selbst.“ Lateef berichtet von jungen Talenten, die ihre Saxofonisten-Karriere auf Besenstielen begannen, in die sie Grifflöcher geschnitzt hatten. Clark Terry, nicht mehr sehr rüstige Trompetenlegende, ebenfalls Jahrgang 1920, erzählt über Miles Davis, wie er ihn als hilfloses Bündel nachts auf der Straße fand und in seinem Hotelzimmer aufgepäppelt hat. Als er nach einer Erledigung in sein Zimmer zurückkehrte, war Miles verschwunden. Terry: „Er hatte meine Trompete, meine Kleidung und mein Radio mitgenommen. Ich war sehr wütend.“ Viele Heroes wie Clark Terry haben im Alter hart zu kämpfen, Clark besiegte einen Darmkrebs und kämpft seit Jahren gegen seinen Diabetes, beide Beine wurden bereits amputiert. Aber er verliert nicht den Mut. Terry zitiert Duke Ellington: „Es gibt zwei Regeln im Leben: Nummer eins: gib nie auf, Nummer zwei: vergiss Regel eins nicht.“
Diese eiserne Regel hat auch Axel Stinshoff mit seinem Jazzmagazin „Jazzthing“ befolgt, dessen 100. Festausgabe den Herbst schmückt. Zum Buch der Heroes kommentiert er als stolzer Herausgeber: „Jazz hält jung. Man schaue in das Buch, viele der Charaktere sind über 80 oder sogar 90. Auch wenn sie kaum noch gehen können: Der Geist ist wach.“
Magazin: Jazzthing & blue rhythm mit CD, 7 €
Buch: Arne Reimer, American Jazz Heroes, 228 Seiten, 180 Fotos, 49 €
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