Die Filmgeschichte droht in Vergessenheit zu geraten. Kein Wunder: Die Mediatheken und vor allem die Streaming-Plattformen sind zum Bersten gefüllt mit Produktionen aus der jüngeren und jüngsten Vergangenheit (rühmliche Ausnahmen: die filmhistorische großartige Mediathek von arte oder die Plattform Mubi) – und jeden Monat kommen neue Filme und Serien hinzu. Um mitreden zu können, guckt man sich die neuen Publikumsmagneten an, historisches Interesse geht inzwischen sogar bei Studierenden an den Filmschulen immer häufiger unter. Der Content-Overkill grassiert auch auf Kosten der Kinos, in denen ja Monat für Monat auch noch mal tolle, neue Filme zu sehen sind. Das Kino bietet aber auch immer wieder einen Blick in die Vergangenheit. Das Cineasten-Herz schlägt höher, wenn wie zuletzt bei den Kölner Kino Nächten historische Filme mit Köln-Kontext von dem Verein Köln im Film im Filmclub oder alte (aber sehr modern anmutende) Klassiker wie „A Woman under the Influence“ von John Cassavetes aus dem Jahr 1974 in einem vollen Filmforum gezeigt werden. Es gibt also doch ein Interesse. Es muss nur das Programm stimmen und der Rahmen passen!
Beides bieten die Internationalen Stummfilmtage Bonn bereits seit fast vier Jahrzehnten auf höchstem Niveau. „Premieren, Klassiker und Neuentdeckungen aus aller Welt“ verspricht das Team der Stummfilmtage rund um Eva Hielscher und Oliver Hanley für die 39. Ausgabe des Bonner Sommerkinos im Arkadenhof der Bonner Universität. 20 Lang- und Kurzfilme aus der Stummfilmzeit werden mit Livemusik-Begleitung präsentiert. Mit Neuentdeckungen sind natürlich nicht neue Produktionen, sondern wiederentdeckte Stummfilme oder neu restaurierte Werke gemeint. Aus elf Ländern stammen die Filme, die in hoher Anzahl als analoge 35-mm-Filmkopien gezeigt werden.
Wer bei Stummfilmen vor allem an die Slapstick-Eskapaden von Meistern wie Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd oder Laurel & Hardy alias „Dick & Doof“ denkt, wird nicht enttäuscht. Deren Werke sind regelmäßig bei den Stummfilmtagen vertreten und werden wie alle anderen Filme von Musiker:innen live begleitet. Aber auch alle anderen Genres findet man auf dem Festival – vom Drama bis zum Thriller, vom Kinderfilm bis zum Dokumentarfilm. Darunter Klassiker, selten gezeigte Perlen oder eben auch verschollen geglaubte Filme. Eröffnet werden die Stummfilmtage in diesem Jahr mit „Großstadtschmetterling. Ballade einer Liebe“, einem Thriller aus dem Pariser Künstlermilieu aus dem Jahr 1929. Mit „The Marriage Circle“ zeigt das Open Air-Festival den zweiten US-Film des Exilanten Ernst Lubitsch, der 1924 eine leichte, aber klug erzählte Verwechslungskomödie um Liebe und Intrige inszenierte. Mit „Gratuliere zur Versetzung“ setzt das Festival ein solidarisches Zeichen: Der im Jahr 1932 realisierte Kinderfilm, der seinerzeit in der UDSSR gefeierten, im Westen aber weitgehend vergessenen Regisseurin Jevheniї Hrihorovyč wird gerade digitalisiert. Die einzige Kopie dieses Films, der jahrzehntelang als verschollen galt, ist in Deutschland erhalten geblieben. Viele weitere Vorführungen garantieren ein abwechslungsreiches Eintauchen in eine andere Zeit, die mitunter mehr mit unserer Gegenwart verbunden ist, als wir zunächst glauben.
39. Internationale Stummfilmtage Bonn | 10.-20.8. | Arkadenhof, Universität Bonn | www.internationale-stummfilmtage.de
Das Programm:
Do. 10.8.:
21:00: Großstadtschmetterling. Ballade einer Liebe (live vertont vom Aljoscha Zimmermann Ensemble, DCP)
Fr. 11.8.:
21:00: Die Ehe im Kreise (live vertont vom Aljoscha Zimmermann Ensemble, DCP)
23:00: Die Einladung zur Reise (live vertont vom Cellophon Duo, 35 mm)
Sa. 12.8.:
21:00: Das Fliegerass (live vertont von Elaine Loebenstein, 35 mm)
22:30: Der andere Flügel (live vertont von Meg Morley, 35 mm)
So. 13.8.:
14:00: Falschmünzer (live vertont von Elaine Loebenstein, DCP), Ort: LVR LandesMuseum
21:00: Gratuliere zur Versetzung (live vertont von Meg Morley, DCP), im Vorprogramm: Grotesken im Schnee (live vertont von M-Cine)
Mo. 14.8.:
21:00: Gefangener Nr. 53 (live vertont von Filmsirup, 35 mm), im Vorprogramm: Charlie Chaplin: The Adventurer (live vertont von M-Cine)
Di. 15.8.:
21:00: Mit Schlitten und Rentier in Inka Läntas Winterland (live vertont von Cellophon, DCP)
22:30: Im Frühling (live vertont von Misha Kalinin u. Roksana Smirnova, 35 mm)
Mi. 16.8.:
21:00: Wellen der Leidenschaft (live vertont von Neil Brand, 35 mm), im Vorprogramm: Laurel & Hardy in: Two Tars (live vertont von Richard Siedhoff)
Do. 17.8.:
21:00: Revolutionshochzeit (live vertont von Richard Siedhoff und Mykyta Sierov, 35 mm), im Vorprogramm: Tragödie einer Filmaufführung - Wenn die Filmkleberin gebummelt hat...(live vertont von Neil Brand, 35 mm)
Fr. 18.8.:
21:00: Wenn ein Weib den Weg verliert (live vertont von Daan van den Hurk und Mykyta Sierov, DCP)
22:30: Die Höhle der Spinnenfrauen (live vertont von Richard Siedhoff und Frank Bockius, 35 mm)
Sa. 19.8.:
21:00: Schloss aus Wind und Wolken (live vertont von Stephen Horne und Frank Bockius, DCP)
22:30: Das Wiegenlied (live vertont von Elizabeth-Jane Baldry und Mykyta Sierov, DCP)
So. 20.8.:
21:00: Vor dem Antlitz des Meeres (live vertont von Stephen Horne und Elizabeth-Jane Baldry, DCP)
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