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Handschuhe als Schutz vor zuviel Nähe: Geoffrey Rush in „The Best Offer“.
Warner

„Meine Kunstliebe ist eher akustischer Natur“

28. Februar 2013

Geoffrey Rush über „The Best Offer – Das höchste Gebot“, sein Verhältnis zur Kunst und seine Google-Suche nach seinem Co-Star – Roter Teppich 03/13

Gleich für seine erste größere Filmrolle als Pianist David Helfgott in „Shine“ gewann der 1951 geborene australische Schauspieler Geoffrey Rush den Oscar und den Golden Globe. In den letzten 15 Jahren sah man ihn daraufhin in vielen erfolgreichen Historienfilmen wie „Elizabeth“, „Shakespeare in Love“ oder als Sprachtherapeut in „The King’s Speech“. Aber Rush beeindruckte auch in Blockbustern, beispielsweise als Captain Barbossa in der „Pirates of the Caribbean“-Reihe. Nun ist er als penibler Auktionator in „The Best Offer“ im Kino zu sehen.

choices: Mr. Rush, was haben Sie persönlich für ein Verhältnis zur Kunst?
Geoffrey Rush: Ich bin kein Sammler oder so etwas, ich habe nur das ein oder andere Gemälde, aber ich gehe sehr gerne in Galerien. Ich habe schon immer Kandinskys Arbeit bewundert. Wenn man seine Werke als Reproduktionen in Büchern sieht, sind sie interessant, weil sie sehr abstrakt sind. Ich habe einmal eine Kandinsky-Retrospektive in einer Galerie in London besucht, zusammen mit einem Schauspielerkollegen, mit dem ich in den 70er Jahren gemeinsam eine Theaterschule in Paris besucht hatte. Das ist jetzt ungefähr fünf Jahre her, wir waren also mittlerweile beide Männer in mittleren Jahren. Wir waren fasziniert von der unglaublichen Größe einiger Werke, denn einige der Leinwände sind so groß wie ganze Wände. Am beeindruckendsten für uns war, als wir ein Werk entdeckten, das in ca. 50 bis 70 Meter Entfernung von uns hing, fast in einem anderen Raum, und trotzdem einen fast dreidimensionalen Eindruck auf uns ausübte. Obwohl das Gemälde wohl nicht dafür gedacht war, aus 50 Meter Entfernung angeschaut zu werden, hat es uns selbst aus dieser Distanz sehr beeindruckt. Aus der Nähe war es dann natürlich noch faszinierender, ein Spiel aus Formen, Umrissen und Farben. Noch dazu die ungewöhnlichsten Farben, eine Menge rosa und braun und ein eigenwilliges smaragdgrün. Es war einfach sensationell.

Welche Maler beeindrucken Sie sonst noch?
Ich erinnere mich auch daran, ein Van Gogh-Gemälde angeschaut zu haben, ein sehr bekanntes mit einem kleinen Kai und einigen Schiffen. Selbst aus der Entfernung wirkte es geradezu fotorealistisch, die Darstellung des Wassers war faszinierend. Wenn man es dann aus der Nähe anschaute, erkannte man, dass an vielen Stellen die blanke Leinwand zu sehen ist, weil er einfach nicht alles bemalt hat. Das Licht auf dem Wasser wurde mit einem einzigen meisterlichen Pinselstrich erzeugt. Solche Kunstwerke weiß ich zu schätzen. Sollte ich allerdings ein Äquivalent zur Kunstbesessenheit meiner Figur im Film finden, dann wäre das bei mir die Musik. Ich habe eine recht große Musiksammlung, von Klassik, Romantik und Barock bis hin zu zeitgenössischer Musik. Ich setze mich abends mit einem Glas Rotwein in meinen Sessel und höre mir meine Musik an, insofern ist dieser Teil der Geschichte halb-autobiografisch (lacht). Meine Kunstliebe ist aber eher akustischer als visueller Natur.

Sylvia Hoeks sagte, dass Sie sie für Ihre Rolle in diesem Film über die Website der Berlinale-Shooting Stars gefunden hätten und Jim Sturgess habe eine Email von Ihnen bekommen, ob er auch in diesem Film mitmachen wolle…
Ja, und dafür habe ich noch nicht einmal Geld als Castingleiter bekommen. Da wäre ja eigentlich eine Bezahlung fällig gewesen (lacht).

Machen Sie so etwas häufiger oder war das in diesem Fall etwas Besonderes?
Nein, das hat sich hier so ergeben. Giuseppe Tornatore (der Regisseur; die Red.) war einige Monate vor Beginn der Dreharbeiten zu mir nach Melbourne gereist. Ich hatte zugestimmt, die Rolle zu übernehmen, weil es nicht oft vorkommt, dass man als Charakterdarsteller solch eine komplexe Hauptrolle angeboten bekommt. In der Regel darf man den besten Freund oder den lustigen Typen im Hintergrund spielen oder so etwas in der Art. Man erhält nicht oft die Chance, den ganzen Film zu tragen und in 99% der Szenen des Films auf der Leinwand präsent zu sein. Das empfand ich gleichermaßen interessant wie herausfordernd. Giuseppe und ich sprachen in Melbourne über sämtliche Details meiner Figur und die Hintergründe und was alles zu bedeuten habe. Ich habe ihn in Melbourne in alle großen italienischen Restaurants ausgeführt, wo er von den Kellnern ehrfurchtsvoll begrüßt wurde: „Maestro Tornatore, was machen Sie denn in Melbourne?“ Es war interessant zu sehen, was die Diaspora von Italien für diesen Regisseur empfand. Bei der Gelegenheit offenbarte er mir auch, dass er noch nicht die richtige Darstellerin für die Rolle der Claire gefunden habe. Sie sollte Europäerin sein, noch unbekannt und eine gute Schauspielerin. Eigentlich eine unmögliche Kombination! Idealerweise sollte sie um die 27 Jahre alt sein.

Und dann haben Sie sich auf die Suche begeben?
Ich googelte alle europäischen Schauspielerinnen im Alter von 25 bis 30 Jahren – ich musste mich durch eine Menge an Websites klicken! Ich stolperte über einige bekannte Namen, aber so jemanden suchten wir ja nicht. Es wäre viel interessanter, falls die Schauspielerin für das Publikum auf die gleiche Weise eine Entdeckung wäre, wie sie es im Film für Virgil ist. Irgendwann stolperte ich dann über die Shooting-Stars-Seite der Berlinale. Ich begann ab dem Jahrgang 2006 zu suchen, weil ich auf diese Weise hoffte, jemanden zu finden, der damals 22 Jahre alt gewesen war und nun um die 27 Jahre alt sein musste. Aber die eine war nicht, wie ich mir Claire vorstelle, die andere war eine Finnin, die kein Englisch sprechen konnte. Aber diese Website ist wahrlich eine Fundgrube, wo man die unterschiedlichsten Nachwuchstalente auf dem Roten Teppich und in Filmclips ihrer bisherigen Arbeiten anschauen kann. Und plötzlich entdeckte ich dabei Sylvia Hoeks’ Gesicht. Ich schaute mir Clips ihrer zahlreichen holländischen Filme an, auch einige ihrer französischen und deutschen Arbeiten. Meiner Ansicht nach hatte sie genau die richtige Verletzlichkeit, Schönheit und geheimnisvolle Aura, die die Rolle der Claire benötigte. Ich schickte Giuseppe eine Email und bat ihn, Sylvia zu googeln und mir zu sagen, was er von ihr halte. Ich bat ihn aber auch inständig, sich mit ihr zu treffen, weil ich glaubte, dass sie wunderbar in der Rolle sein würde. Sie hatte schon in rund 20 Filmen mitgespielt und einen wirklich eindrucksvollen Lebenslauf vorzuweisen, war bislang aber noch nie in einem englischsprachigen Film aufgetreten.

Also haben Sie sie für die englischsprachige Filmwelt entdeckt – wer war denn zu Beginn Ihrer Karriere Ihr Entdecker oder Mentor?
Ich hatte das Glück, dass schon mein zweiter Spielfilm „Shine“ von Scott Hicks ein überragender Erfolg wurde. Zu jener Zeit hatte ich viel in Adelaide auf der Theaterbühne gestanden. Adelaide könnte man als das Wuppertal Australiens bezeichnen, denn Pina Bausch hatte ja auch ihre Theatergruppe regionalisiert und auf ihre Stadt fokussiert. Dieser Blick auf das Ungewöhnliche hat schon viele Kunstschaffende fasziniert. In den 70er und 80er Jahren war das Glasgow Citizen’s Theatre in der Britischen Theaterszene sehr beliebt, weil es fernab von London angesiedelt war. Und die Pixar-Studios haben sich auch sehr bewusst dafür entschlossen, nicht nach Hollywood zu gehen, sondern sich in den Hügeln bei San Francisco anzusiedeln. Sie alle hatten das Bedürfnis, sich abzugrenzen und ihren eigenen Raum zu schaffen. Adelaide war zu jener Zeit im australischen Theater ein ähnlicher Ort. Scott hatte eine Menge meiner Arbeiten am Theater in Adelaide gesehen, und als es darum ging, die Rolle David Helfgotts zu besetzen, der so völlig anders war als alle anderen Rollen, die man bislang in australischen Filmen gesehen hatte, fiel die Wahl auf mich. Sowohl Scott als auch der Castingleiter waren sich einig, dass nur ich die Rolle spielen könne. Und das führte mich auf einen völlig unvorhersehbaren und spannenden Karriereweg.

Im Film wird thematisiert, dass es im Leben nie zu spät ist für eine zweite Chance. Haben Sie in Ihrem Leben jemals eine ähnliche Erfahrung gemacht?
Es ist interessant, dass Sie das sagen, denn ein Film ist doch ein Film. Etwas ähnliches passierte mir bei der Promotiontour zum Film „The King’s Speech“. Auf den unterschiedlichsten Festivals schaut man sich den Film immer wieder an, in Telluride, dann in Toronto, später dann noch einmal in Großbritannien. Nach einer Vorstellung drehte ich mich zu Colin Firth um und sagte ihm: „Wow, heute warst Du wirklich toll!“ Mir wurde zwar direkt klar, dass wir natürlich wieder die gleiche Vorstellung gesehen hatten, aber ich hatte trotzdem neue Facetten darin entdeckt, die mich an die Theaterarbeit erinnerten, wo jede abendliche Vorstellung von der davor und der danach ein klein wenig abweicht. Im Film sind die Darstellungen natürlich immer gleich, aber bei jedem neuen Anschauen kann man unterschiedliche Nuancen neu für sich entdecken. Als ich gestern „The Best Offer“ zum ersten Mal auf der großen Leinwand gesehen habe, war ich begeistert von der Schlusseinstellung, bevor der Abspann einsetzt. Ich hatte den Eindruck, als wollte Giuseppe seine Zuschauer mit einem Rorschach-Bild entlassen, in das jeder seine eigenen Dinge hineinprojizieren kann. Und dahinter steckt die Idee, dass man sich verändern und mehr innere Farben zu seiner Identität hinzufügen kann, als man jemals zuvor für möglich gehalten hätte. Es geht nicht nur um einen Raum voller Gemälde, um unzählige Handschuhe, Isolation und selbstauferlegte Einsamkeit. Es geht auch darum, dass man sein Leben auch mit 63 Jahren noch verändern kann – dabei bin ich erst 61, man hat mich für die Rolle etwas künstlich altern lassen (lacht).

Es geht auch um einen Mann, der sich zum ersten Mal in seinem Leben verliebt. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet? Haben Sie auf Ihre Gefühle zurückgegriffen, als Sie sich selbst zum ersten Mal verliebt hatten?
Ich glaube, ich habe das wegen Sylvia so genossen. Wir haben einfach ausgezeichnet zusammengearbeitet und hatten am Set tolle Diskussionen miteinander. An unserem ersten Drehtag drehten wir die Szene, in der sie im neuen Kleid ihr Zimmer verlässt. Ich hatte sie zuvor noch nie spielen gesehen und war zutiefst beeindruckt. Es war, als wenn man ein junges Fohlen beobachtet. In dieser kurzen Einstellung konnte man all ihre körperliche Verletzlichkeit spüren. Die zweite Szene, die wir drehten, war diejenige, in der ich ihr begegne und ihr Gesicht berühre. Wir drehten also gleich zu Beginn zwei der größten emotionalen Momente des Films. Gegen Ende der Dreharbeiten haben wir die letzten Szenen dann in chronologischer Reihenfolge gedreht. Aber ich liebe diese Szene, in der sie in ihrem Abendkleid ihr Zimmer verlässt und die beiden zusammen speisen. Eigentlich sieht man in der Szene nur einen Mann und eine Frau, die zusammen dinieren, aber das hat eine solch unglaubliche Wirkung, weil beide zuvor so isoliert waren.

Sie wurden 2012 zum Australier des Jahres gewählt – sind Sie nun ein Vorbild für Ihre Landsleute?
Diese Auszeichnung wird seit 1960 verliehen. Es gab eine Zeit, in der man den Titel mit hoher Wahrscheinlichkeit bekam, wenn man Kapitän des nationalen Kricketteams war. Das klingt jetzt etwas albern, aber in den 80er Jahren war das schon recht auffällig. Mich hat die Auszeichnung allerdings sehr berührt, weil sie vor mir bislang nur zwei weitere Film- bzw. Theaterschauspieler in Empfang nehmen konnten. Der erste war Mitte der 60er Jahre Robert Helpmann, der Shakespeare-Darsteller und Balletttänzer. Er hat auch den Kinderfänger in „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ gespielt, hatte aber in Großbritannien eine große Karriere am Theater und im Ballett. In den 80er Jahren wurde dann Paul Hogan zum Australier des Jahres, ungefähr zur Zeit seines großen Erfolges mit „Crocodile Dundee“. Aufgrund der Reaktionen meiner Vertrauten und Kollegen habe ich nun erfahren, dass die Auszeichnung für mich im Jahr 2012 große Wogen durch die Kunstwelt geschickt hat, weil dieses Mal nun eben kein Wissenschaftler oder Sportler prämiert wurde.

Was war Ihrer Meinung nach die beste Karriereentscheidung, die Sie bislang getroffen haben?
Diesen Film zu drehen, war sehr bedeutend. Ich hatte eine wunderbare Zeit, als ich mit Tom Hooper und Colin Firth „The King’s Speech“ gedreht habe, das war meiner Meinung nach ein absolutes Highlight hinsichtlich Spaß und Freude während der Dreharbeiten. Als ich dann ein Jahr später „The Best Offer“ drehte, war ich sehr irritiert, weil es erneut passierte – ich hatte wieder unglaublichen Spaß! Und das bezieht sich auf das Vergnügen während der Arbeit, die Kameradschaft, die Aufregung und die Seelenverwandtschaft unter den Beteiligten, das Potenzial der Geschichte und alles weitere. Aber vielleicht war das Wichtigste, was ich je tat, die Entscheidung, nach „Shine“ die Titelrolle in einem Liberace-Biopic abzulehnen. Das wurde mir allen Ernstes danach von einem Studio angeboten, das wahrscheinlich händeringend einen weiteren Film mit mir als Klavierspieler in die Kinos bringen wollte. Es war, als ob ich mit einem Western Erfolg gehabt hätte und nun einen weiteren Western drehen sollte. Ich habe etliche weitere Angebote erhalten, Pianisten zu spielen. Aber ich entschied mich stattdessen dafür, weil ich ein großer Bewunderer von Bille August bin, für ihn in „Les Misérables“ Javert zu spielen. Der Film war zwar nicht sonderlich erfolgreich, aber es war eine tolle Erfahrung und mein erster internationaler Film. Für mich persönlich war es auch sehr wichtig, nach „Shine“ eine Rolle zu spielen, die für mich ein großes persönliches Risiko darstellte. Ich hätte damit sehr leicht auf die Nase fallen können, weil ich noch nie zuvor auf der Bühne oder im Film einen Polizisten gespielt hatte. Und ich hatte noch nie zuvor einen solch großen, albernen Hut getragen wie in diesem Film. Dieses Gefühl, ein ungewöhnliches Wagnis einzugehen, war für mich zu jener Zeit sehr wichtig.

Interview: Frank Brenner

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