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Mit Tochter Maria beim Arzt: Franziska Weisz als Mutter in „Kreuzweg“.
Foto: Presse

„Als ich klein war, habe ich Jerry Lewis imitiert“

27. Februar 2014

Ein Interview zum neuen Film von Dietrich Brüggemann – Roter Teppich 03/14

Mit Ulrich Seidls „Hundstage“ wurde die 1980 in Wien geborene Franziska Weisz 2001 bekannt. In den folgenden Jahren stand sie in so unterschiedlichen Kinofilmen wie „Hotel“, „Distanz“, „Renn, wenn du kannst“ oder „Tom und Hacke“ vor der Kamera. Nun ist sie als streng religiöse Mutter in Dietrich Brüggemanns Film „Kreuzweg“ auf der Leinwand zu sehen, der auf der Berlinale gerade mit dem Silbernen Bären für das Drehbuch prämiert wurde.

choices: Frau Weisz, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gesehen haben, dass „Kreuzweg“ aus vierzehn statischen Einstellungen aufgebaut sein soll?
Franziska Weisz:
Ich kannte Dietrich Brüggemanns Film „Neun Szenen“ und dachte mir deswegen spontan, super, Dietrich verfolgt dieses Konzept weiter! Wenn jemand den Mut hat, so etwas zu machen, dann er. Und dann dachte ich mir: „Holla, das wird schwierig für die Schauspieler!“ (lacht).

Hat sich diese Befürchtung bewahrheitet? Mussten die Szenen sehr häufig geprobt werden, damit sie am Stück gefilmt werden konnten?
Interessanterweise hatte ich es mir viel schwieriger vorgestellt, als es letztendlich war. Dietrich hatte mich gefragt, ob ich beim Casting für die vierzehnjährigen Mädchen mithelfen würde. Da saßen wir dann einen Tag lang zusammen, und ich habe mir sieben Kandidatinnen für die Rolle der Maria angesehen und die zweite, die rein kam, war Lea van Acken. Abends zuvor hatte ich das Drehbuch schnell gelesen und versucht, mir die Autoszene zu verinnerlichen, die ungefähr zehn Minuten dauert. Zuerst hatte ich befürchtet, es nicht zu schaffen, bis zum nächsten Tag diese Castingszene so vorzubereiten, aber das ging sehr gut. Die Probenarbeit war wirklich mit Theaterspielen zu vergleichen. Ich mache nicht viel Theater, aber hin und wieder spiele ich am Schauspielhaus Wien. Den Text musste man einfach so oft wiederholen wie früher Lateinvokabeln, dann blieb er schon irgendwann hängen. Glücklicherweise hatten wir immer einen Probetag, der allerdings kurz war, weil die Kinder nicht so lange am Set sein durften. Am nächsten Tag wurde dann gedreht. Ich glaube, das absolute Maximum an wiederholten Takes lag bei ungefähr 20. Das ist aber nicht schlimm, denn bei normalen Drehs schafft man am Tag drei bis vier Filmminuten abzudrehen, bei Fernsehserien sind es ungefähr sieben Minuten. Und wir haben es hier geschafft, bis zu 15 Schnittminuten am Tag zu produzieren, so lang war das längste Kapitel. Dafür sind 20 Takes wenig. Die Wiederholungen waren da schon sehr hilfreich. Es war nicht nervenaufreibend, aber doch sehr fordernd. Man weiß beim Dreh natürlich nie, was passiert. Plötzlich macht ein Nachbar seine Kreissäge an oder man steht in der Autoszene in Stuttgart im Stau, typisch (lacht).

Insbesondere die Autoszene stelle ich mir in ihrer technischen Umsetzung extrem schwierig vor, wie wurde die denn gedreht?
Das war eine so genannte „Trailerfahrt“, meine erste überhaupt. Unser Fahrzeug stand auf einem Trailer drauf. Die Schwierigkeit dabei war, abgesehen vom Stau, in den wir mitunter hineinkamen, dass wir aus Lichtgründen eine Styro vor uns hatten, damit wir eine Reflexion bekamen, d.h. ich sah die Straße überhaupt nicht. Ich musste mir immer irgendwie vorstellen, wo die Straße sein könnte und in welche Richtung wir fahren.

Kreuzweg“ ist ihre dritte gemeinsame Arbeit mit Dietrich Brüggemann. Haben Sie mittlerweile schon gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Arbeitsmethoden entwickelt, oder ist die ohnehin von Projekt zu Projekt unterschiedlich?
Die Projekte waren ganz unterschiedlich, deswegen war auch die Arbeitsweise ganz verschieden. Bei „Renn, wenn du kannst“ kannten wir uns damals noch nicht so gut. Dietrich ist jemand, der ganz genau weiß, was er will. Aber damals war noch viel Spontaneität dabei, die man sich bei „Kreuzweg“ nun nicht erlauben konnte, weil dort jeder Frame eingemauert war und wir so viele Kinder am Set hatten. Mit Erwachsenen kann man vielleicht improvisieren, aber ich hätte jetzt nicht unnötig meinen vierjährigen Filmsohn verwirren wollen (lacht). Dietrich ist dafür bekannt, dass er gerne mit Freunden arbeitet. Deswegen taucht bei „Kreuzweg“ am Ende noch der Regisseur Sven Taddicken als Krankenpfleger auf. Und bei „3 Zimmer/Küche/Bad“ war ich auch eigentlich eher so aus Freundschaft dabei. Es ist mit ihm jedes Mal ganz anders. Dietrich überlegt sich sehr genau, was der Film für ihn bedeutet und wie er schließlich aussehen soll.

Sind Sie selbst auch religiös erzogen worden und was wussten Sie im Vorfeld über die katholischen Traditionalisten, denen Ihre Figur angehört?
Der Film ist nicht als Religionskritik zu verstehen, sondern er handelt nur von einer kleinen fanatischen Gruppierung innerhalb einer Religion, und damit hatte ich nie Berührungspunkte. Aber ich bin ganz normal, wie man das im Wienerwald tut, römisch-katholisch aufgewachsen, war als Kind sogar einige Zeit Ministrantin, bis eine Strömung aufkam, dass Mädchen in dieser Position nicht mehr erwünscht waren. Dann wurde ich ganz schnell wieder verabschiedet und mein Interesse daran ging auch zurück. Jahre später habe ich erst verstanden, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der es ganz normal war, dass Mädchen ministrieren dürfen. Ich wusste als Kind nicht, dass es davor mal verboten gewesen war und dass es immer von aktuellen Strömungen innerhalb der Kirche abhängig war, ob Mädchen dort als Ministrantinnen erwünscht waren oder nicht. Kirche war für mich immer etwas ganz Normales, aber auch ohne jeglichen Druck dahinter. Meine Mutter hat sich gefreut, dass ich das mache, aber sie hätte das nie bewusst initiiert oder mich dazu gezwungen. Mittlerweile bin ich aber aus der Kirche ausgetreten.

Haben Sie über die traditionalistischen Bruderschaften im Vorfeld recherchiert?
Ja, natürlich! Ich hab mir viel angeschaut und viel dazu gelesen, das Internet ist wirklich voll davon. So habe ich auch Kirchen gefunden und bin dorthin gegangen, um mir Gottesdienste anzuschauen und zu sehen, wie diese Menschen so sind. Interessant fand ich, dass ja heutzutage Kirchengemeinden mangels Zulauf oft sogar schließen müssen, aber bei diesen Gottesdiensten war es am Sonntagmorgen brechend voll! Ich saß dann nicht eingeschüchtert und verängstigt dazwischen, aber ich erkannte trotzdem, dass diese Bruderschaft alles deutlich ernster nimmt als der Rest der Kirche.

Hat es Ihnen mehr Spaß gemacht, jemanden darzustellen, der mit dem eigenen Leben nicht so viele Gemeinsamkeiten hat?
Es war ein Sprung ins kalte Wasser, weil diese Rolle etwas völlig anderes war, aber es hat Riesenspaß gemacht. Man möchte ja als Schauspieler nicht immer dieselbe Rolle spielen und das war wirklich etwas extrem anderes. Ich bin als Schauspielerin bislang glücklicherweise noch in keine Schublade gesteckt worden und habe nie zweimal dasselbe gespielt, aber hier nun eine Figur zu spielen, die komplett meiner Fantasie entspringt und von der ich überhaupt keine Parallelen zu meinem eigenen Leben ziehen kann, das war wahnsinnig spannend und befreiend. Scheinbar helfen einem Parallelen zum eigenen Leben, in Wahrheit können sie aber auch behindern. Wenn eine Rolle viel mit einem selbst zu tun hat, finde ich das als Schauspielerin schwieriger, weil eine deutlich gezeichnete Rolle auch ein Schutz zwischen mir und dem Publikum sein kann. Diese Rolle war deshalb so speziell, weil ich nicht gefallen wollte oder musste. Wenn man eine Rolle mit Parallelen zum eigenen Leben spielt, sieht das Publikum auch immer mich in der Rolle. Dann hat man das Bedürfnis, die Leute nicht völlig vor den Kopf zu stoßen. Das war hier sehr befreiend: komplett uneitel, sowohl was das Äußerliche als auch was das Charakterliche angeht, einfach draufloszuspielen, das war toll.

Ich merke, dass Sie mittlerweile Feuer und Flamme für die Schauspielerei sind, obwohl das gar nicht Ihr ursprünglicher Berufswunsch war und Sie eher zufällig beim Film gelandet sind, richtig?
Ja, genau, da haben Sie jetzt wirklich zwei komplett richtige Sachen gesagt, allerdings mit einem Twist. Es war immer mein Traumberuf, ich wollte immer Schauspielerin werden! Als ich klein war, habe ich Jerry Lewis und Peter Sellers imitiert und musste immer etwas tun, um Gäste bei uns in der Familie zu unterhalten. Ich wollte das immer machen, aber es war kein realer Berufswunsch. In meiner Familie gibt es keine Künstler oder jemanden, der mit Medien irgendetwas zu tun hat. Es war für mich ein völlig abwegiger Gedanke, mich einfach bei einer Schauspielschule zu bewerben. Als Teenager konnte ich mir eher vorstellen, in eine Modelagentur zu gehen, in der Hoffnung, dort jemanden kennenzulernen, der Verbindungen zum Film hat. Also komplett über die Bande gedacht (lacht). Erstaunlicherweise wurde ich genau über diese Modelagentur dann für „Hundstage“ besetzt. Das war dann mein erster Film. Aber damals habe ich dem Braten noch nicht getraut, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das wirklich so einfach gehen kann. Deswegen bin ich wie zuvor geplant nach England gegangen, um dort Politik zu studieren. Da war ich dann vier Jahre und habe das Studium ganz normal abgeschlossen. Mittlerweile war „Hundstage“ herausgekommen und hatte sich als Erfolg erwiesen, deswegen kamen im Anschluss direkt die nächsten Rollenangebote.

Frank Brenner

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