Die Welt bleibt einfach: Wer aus dem niederschmetternden Jetzt entkommen möchte, muss lediglich einem weißen Kaninchen folgen. Es ist nicht erforderlich, das Tier einzuholen oder gar zu überwältigen – geschweige denn, es zu verspeisen. Nur die Spur sollte man nicht verlieren, denn das verstörte Geschöpf führt unmittelbar hinter die Spiegel in die Welt des Surrealen – jene missverstandene Antagonistin der Wirklichkeit, die sich noch als schwarze und/oder weiße Herzkönigin erweisen wird.
So auch im Orangerie-Theater. Das Ensemble Spiegelberg inszeniert in der romantischen Umgebung des Volksgartens sein neues Projekt „Loop“. Die Produktion offenbart bei Mitspielbereitschaft des Publikums hellere Wege aus der Endzeitschleife des zivilisatorischen Untergangs. Während einem Spaziergang durch das Garten-Areal, einer Kellerbesichtigung und dem gemeinschaftlichen Arbeiten im Theaterlabor entsteht in 80 Minuten nicht nur Verbundenheit, sondern gar ein mehraktiges Drama, das final zur Aufführung kommt. Wie gelingt das? Weniger mit einem hakenschlagenden Meister Lampe in der Finsternis unterirdischer Schächte, eher schon durch Künstliche Intelligenz. Die wird zum steten, wohlgesonnenen wie erbitterten Begleiter der Freizeit-Wissenschaftler und schließlich deren multiples Spiegelbild. Das (r)evolutionäre Programm verführt mit visuellen Möglichkeiten zur ideologischen Gestaltung einer fantastischen Welt, nur um die Konstrukteure mit der Summe ihrer Egoismen zu ernüchtern.
Die Idee, das Publikum zum tragenden, jeweils differenziert agierenden Hauptdarsteller in einer nicht kalkulierbaren Textvorlage im Stück zu verankern, ist mutig, trifft aber den Zeitgeist, der infolge einer nahezu interstellaren Vernetzung sowohl die täglichen Wunder und Katastrophen ausleuchtet als auch den Hunger nach Selbstdarstellung mit Schaufeln füttert. Dem durchaus ernsten Wettstreit Mensch vs. Maschine begegnet die Basis-Inszenierung mit dem dafür notwendigen Humor. „Loop“ mischt fragile analoge Sehnsüchte nach Gleichklang mit der Brachialität und Kakophonie selbstlernender Technik. Ende offen, Anfang auch.
Loop | R: Spiegelberg | 25., 26., 27.4. je 20 Uhr, 28.4. 18 Uhr | Orangerie Theater | Mit: Georgios Markou, Asim Odobašić, Elisabeth-Marie Leistikow, Günes Aksoy, German Arefjev, Daniel Müller, Anna-Lea Weiand, Sarah Youssef (wechselnde Darsteller:innen) | www.orangerie-theater.de
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